Seien wir mal ehrlich: was empfinden wir Fernsehzuschauer, wenn wir gewisse Formate auf Privatsendern, die„von Asis für Asis“ produziert sind, sehen? Zumeist Verachtung, Ekel, Mitleid oder Überlegenheit . Der Reiz des downward comparison stellt eine große Verlockung dar, der man nahezu reflexhaft nachgibt.
Ich
habe mit der Zeit festgestellt, dass ich gerne Sendungen über
„gescheiterte“ Jugendliche des Prekariats schaue, die innerhalb
von 4 Wochen von unseriös wirkenden Coaches wieder auf die richtige
Bahn gebracht werden sollen (zu nennen wären beispielhaft „Die
Mädchengang“, „Die strengsten Eltern der Welt“ und „Die
Ausreißer“). Und zwar nicht (nur), um mich an der Ungebildetheit
und Ungehobeltheit der dargestellten Figuren zu ergötzen.
Überraschenderweise finde ich manche der jugendlichen Charaktere
symphatisch.
Warum das?
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by Spiegel Online |
Ich
vermute, ich fühle mich trotz großer Unterschiede in Bezug auf
Lebensstil und Einstellung mit ihrem gesellschaftlichen
Außenseitertum verbunden. Mir gefällt ihre Verweigerung gegenüber
bürgerlicher Ideale und Ziele, womit ich natürlich nicht die
kriminellen und menschenverachtenden Aktionen meine, die von privaten
Fernsehproduzenten mit Vergnügen herausgestellt werden. Ich meine
ihre Fuck-it-Attitüde, die das esoterisch vielfach gepredigte „Leben
im Moment“ umzusetzen hilft und die Last der Vergangenheit und die
Angst vor der Zukunft lindert. Karriere, Fleiß, Ehrgeiz und Verzicht
spielen eine untergeordnete Rolle und der Umgang mit Genüssen ist
unverkrampft und reuelos. Im Sinusmodell würde man die Teenager wohl dem hedonistischen/
konsum-materialistischen Milieu zuordnen.
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by wn.com |
Wer
mir weitaus mehr auf die Nerven geht als die zugegebenermaßen
rotzfrechen Asi-Kids: die ominösen Coaches/ Erzieher/ Autoritäten
(ich mein, wie professionell sind Psychologen und Sozialpädagogen,
die sich RTL-Formate hingeben?), die dauernd in mal bedrohlichen, mal
eindringlichen, aber immer pathetischen Ton „Du verspielst deine
Zukunft“ oder „Du musst dein Leben ändern“ sagen und damit
klarstellen, dass nur der bürgerliche Lebensweg seligmachend ist und
dem Dasein seinen Sinn verleiht.
Ich
will hier nicht die kriminellen Handlungen, die die dargestellten
Jugendlichen anscheinend begehen, relativieren. (obschon ich stark
davon ausgehe, dass nur ein kleiner Teil davon tatsächlich passiert
ist). Es tut einfach nur gut, NICHT so zu reagieren, wie es die
Produzenten der genannten Formate mit ihren hanebüchenen Drehbüchern
von mir erwarten. Ich soll die Mädchen und Jungs zum kotzen finden,
ich soll sie als grässliche Monster wahrnehmen, die am Ende von den
geduldigen Helfern wieder in echte Menschen verwandelt werden. Ich
soll sie hassen und vielleicht auch ein bisschen Angst vor ihnen
haben. Stattdessen MAG ich sie. Jedenfalls mehr als die Pimmelköpfe
von Fernsehproduzenten .