‚Mein Körper funktioniert an so vielen
Stellen nicht mehr… Manchmal fühle ich mich wie eine kaputte Puppe, die zu
nichts mehr zu gebrauchen ist. Von der man nichts mehr erwarten kann. Die man
besser auf den Müll schmeißen sollte. Am liebsten würde ich den ganzen Tag im
Bett bleiben und von der Welt da draußen nichts mitbekommen. Aber das geht mit
meinem Job nicht. Also hab ich mich halt gezwungen in den letzten Wochen und
Monaten. Aufstehen, arbeiten, ins Bett gehen. Viel mehr war da nicht. Ich habe
mein Leben auf ein Minimum runtergefahren und trotzdem unendlich viel Energie
gebraucht, um es einigermaßen auf die Reihe zu kriegen, verstehen Sie?’
Als Mila diese Worte ausspricht, ist sie
seit einer Woche in einer Klinik für psychosomatische Krankheiten. Im Klartext:
In der Klapse. Ihre Diagnose: Depression und Burnout. Dabei scheint ihr Leben
so normal, wenn nicht sogar perfekt. Sie ist 27, arbeitet als Werbetexterin und ist vor einem
Jahr befördert worden. Ihr Gehalt hat sich verdoppelt. Sie lebt in einer
Partnerschaft, hat viele Freunde. Doch irgendetwas läuft falsch. Ganz falsch.
Sie ist nicht glücklich. Aber wie soll man sich so etwas ernsthaft eingestehen,
in Zeiten der Wirtschaftskrise? Wäre das nicht undankbar? Total verrückt? Also
macht Mila einfach weiter. Ihre Ansprüche an sich selbst sind hoch: ‚Meine
Freunde um mich rum arbeiten zwölf Stunden am Tag, machen Karriere, schmeißen
ihren Haushalt, schlagen sich die Nächte um die Ohren und planen demnächst noch
Kinder zu bekommen. Ich beneide sie – aber ich kann da einfach nicht
mithalten.’ Sie bricht zusammen und wird in eine Klinik eingewiesen. Aus
geplanten 6 Wochen werden 8.
Psychosomatische Klinik. Klapsmühle.
Irrenanstalt. In vielen weckt das Unbehagen. Man denkt an den verstörenden Film
„Einer flog übers Kuckucksnest“ mit Jack Nicholson. Doch die Realität
ist weit davon entfernt. Keine Elektroschocks, keine Psychohammerpillen.
Niemand wird gegen seinen Willen ans Bett gefesselt. Mila vergleicht die Klinik
bei ihrer Ankunft im Warteraum eher mit der Lobby eines Hotels. Nicht das
Äußere, nicht die Umwelt ist es, was Angst einflößt, was Schwierigkeiten
bereitet, sondern das Innere, das Selbst. Es wirft sich verzweifelt die Frage
auf: Was ist normal, was ist verrückt.
Eva Lohmann hat viel gemeinsam mit ihrer
Heldin. Die 1981 geborene und in Hamburg lebende Autorin erlebte selbst einen
Zusammenbruch mit anschließendem Aufenthalt in einer Klinik. Auch arbeitet sie
wie Mila als Werbetexterin. Die Eindrücke und Gedanken ihrer Klinikerfahrung
hielt sie in einem Tagebuch fest, welches die Grundlage dieses sehr
persönlichen Romans bildet. Diesen ‚Infarkt ihrer Seele’, wie sie ihre
Depression in einem Interview selbst nennt, geht sie offen und unkompliziert
an.
Die Hamburgerin will eines deutlich
machen: Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Doch es gibt auch eine
gute Nachricht: Es ist, wie es ist. Ihr Roman kommt daher ohne Selbstmitleid
und ohne aufdringliche Belehrung aus. Kein Voyeurismus, kein Aufgeilen am Elend
psychisch Kaputter. Die Botschaft ist vielmehr: Es ist okay im Leben auch mal
nicht weiter zu wissen, eine Pause einzulegen, die Fahrtrichtung zu ändern.
In acht Kapiteln, von denen jedes
einzelne jeweils eine der acht Wochen Klinikaufenthalt schildert, begleitet der
Leser Mila durch ihre Konfrontation mit sich selbst und durchlebt mit ihr die
Höhen und Tiefen ihrer Genesung. Es fällt nicht schwer, sich in ihre Situation
einzufühlen, ihre anfängliche Unsicherheit, die Eingewöhnung in den Klinikalltag,
das Kennenlernen der Mitpatienten mitzuerleben. Mila wird dem Leser schnell zu
einer Art Freundin, der man die Hand halten möchte.
Mila
auf dem Narrenschiff
Die Frage was eigentlich normal ist,
muss sich aber nicht nur Mila stellen, sondern dass müssen auch ihre
‚Mitinsassen’. Mit feinem, aber niemals bösem Humor und einer genauen
Beobachtungsgabe beschreibt die Autorin die verschiedenen Charaktere. Das
Narrenschiff auf dem Mila segelt, beherbergt Magersüchtige, Adipöse, Transsexuelle,
Patienten mit Persönlichkeitsspaltung: ein Querschnitt durch die menschliche
Psyche sozusagen. Deshalb wundert es auch wenig, dass Lohmann auf der ersten
Seite ihres Buches Lewis Carrol zitiert. Denn so fühlt sich Mila. Sie hat sich
irgendwann einfach fallen lassen, wie sie selbst sagt, und bewegt sich nun wie Alice
im Wunderland zwischen dem verrückten Hutmacher und der Grinsekatze. Eine
wundersame Welt. Doch sie akzeptiert schnell, dass die Normalität, an die sie
bisher geglaubt hat, bloß ein von ihr selbst geschaffenes Konstrukt ist und
wenig mit der Vielschichtigkeit des wahren Lebens zu tun hat.
Eva Lohmann ist ein authentischer Roman
gelungen, was wir nicht zuletzt ihrem Mut zu verdanken haben, ihre eigenen,
sehr persönlichen Erfahrungen mit in die Geschichte einfließen zu lassen. Trotz
einer stetig wachsenden Zahl von Betroffenen sind Themen wie Burnout,
Depression oder andere psychische Erkrankungen nach wie vor ein Tabu, auch wenn
sich unsere Gesellschaft oft ihrer großen Offenheit und Vorurteilsfreiheit
rühmt. ‚8 Wochen verrückt’ bricht dieses Schweigen und zeigt, dass das Leben
eben nicht immer glatt läuft.
Diese
Rezension bezieht sich auf folgende Buchausgabe:
Eva
Lohmann: 8 Wochen verrückt. Pieper-Verlag, München 2011, 1. Auflage, gebunden
mit Schutzumschlag, 195 Seiten, 16,95 €, ISBN: 978-3-492-05439-3.