Als ich siebzehn war und voller
herrlicher Naivität, (die sich bis heute in mancher Hinsicht leider erhalten
hat), dachte ich, dass ich einem Obdachlosen kein Geld geben dürfte, weil ich
damit nur seinen Drogen- und Alkoholkonsum unterstützen würde. Und Drogen und
Alkohol sind natürlich schlecht. Stattdessen sagte eine Freundin zu mir, dass
ich diesen Leuten lieber ein belegtes Brötchen kaufen sollte. Nun überstieg es
die Höhe meines Taschengeldes jedem Bettler ein belegtes Brötchen zu kaufen und
ehrlich gesagt war ich auch ein bisschen zu schüchtern dafür. Also gab ich
nichts und fühlte mich schlecht. War das die Lösung? Nein.
Ich überwand mich eines Tages und kaufte
schließlich dieses verdammte Brötchen. Aufgeregt steuerte ich den nächsten
Obdachlosen an, in freudiger Erwartung, wie er auf meine Gabe reagieren würde. Doch
er schüttelte bloß den Kopf. Er wollte lieber einen Döner. Empört und gekränkt
stampfte ich von dannen. Einen Döner? Wie bitte? Und vielleicht noch ein
bisschen Kaviar dazu?
Wie kann dieser Mann meine Geste der
Barmherzigkeit einfach so abschmettern? Tja, er kann es, weil er’s kann. Ganz
simpel.
Ich habe etwas gebraucht, bis ich
verstanden habe, dass es nicht meine Aufgabe ist, darüber zu richten, wofür ein
Obdachloser das Geld ausgibt, welches ich ihm freiwillig gebe. Schließlich brauche
ich auch keine verurteilenden Blicke von meinem Chef, wenn ich den Lohn, den er
mir auszahlt, in chinesisches Essen und teuren Wein investiere.
Überhaupt ist es wohl ein wenig vermessen
zu glauben, man könne durch Brötchenkauf einen Menschen vom Drogenkonsum
abhalten oder durch die Verweigerung von Geld ihn ‚erziehen‘. Schon peinlich, dass ich das mal gedacht habe. Aber wie
gesagt, ich war jung und fand es voll logisch.
Selbstverständlich wäre es wohl am
einfachsten den Menschen zu fragen, was er braucht und wie es ihm geht. Nun bin
ich einfach nicht der Typ, der fremde Leute auf der Straße anquatscht, egal ob
sie obdachlos sind oder im Anzug herum laufen. Aber ein paar Mal haben sich
doch kurze Gespräche ergeben. Eines ist mir dabei besonders im Gedächtnis
geblieben.
Mein Freund und ich sind auf der
Königsallee an einem Obdachlosen vorbei gelaufen, der ein ganzes Schuhputzset
vor sich ausgebreitet hatte. Er trug eine Schiebermütze. Aufrecht und mit
hinter dem Rücken verschränkten Armen stand er da und wartete auf Kundschaft. Ich
blickte hinunter auf die Schuhe meines Freundes. „Man, die könnten aber auch
mal wieder geputzt werden. Die sind super dreckig. Was meinst du? Sollen wir zu
diesem Mann gehen?“ Wir blieben stehen, schauten uns an und berieten uns. „Echt?
Ist das nicht komisch? Sich so von einem anderen die Schuhe putzen zu lassen? Wirkt
so wie ein fetter Kapitalist, der auf den Schuhputzer herabblickt.“
Szenen aus Charles Dickens Romanen
tauchten vor meinem inneren Auge auf. Aber was ist die Alternative für diesen
Mann? Wenn niemand zu ihm geht, um die Dienstleistung, die er anbietet,
anzunehmen, weil niemand der fette Kapitalist sein möchte, hat er für diesen
Tag auch nichts davon.
Also entschlossen wir uns zu ihm zu
gehen. Voller Begeisterung machte er sich an die Arbeit. Wir fragten ihn, wo er
denn die tolle Ausrüstung her hätte und mit leuchtenden Augen erzählte er uns,
wie er sie mühsam zusammen gespart hätte. „Den Kasten, wo sie ihren Fuß drauf
stehen haben, habe ich für 75€ aus einem Antiquitätenladen. Es ist mein
wertvollster Besitz. Aber es erleichtert mir die Arbeit. Sonst müsste ich mich
so tief bücken, was in den Rücken geht.“ Der Mann erzählte uns vom harten Leben
auf der Straße und das er seit über einem Jahr trocken sei. Aber er hätte in
letzter Zeit einige Tagelöhnerjobs in Aussicht und dies sagte er nicht ohne
Stolz in seiner Stimme.
Eigentlich redete er die ganze Zeit und
wir hörten ihm bloß zu. Am Ende wünschten wir ihm Glück bei seinen weiteren
Bemühungen. Es hatte nichts von diesem harten Unten-/ Obengefälle, welches wir
befürchtet hatten.
Auch wenn solche Begegnungen bei mir doch
eher selten sind, glaube ich, dass ein ehrliches, freundliches Lächeln und
einen schönen Tag wünschen, es häufig auch schon tun. Und natürlich ein paar Euros dalassen. ;)