Dienstag, 17. November 2015

Mußestunde in der Bäckerei


Es gibt Leute, die sich in Bäckereien einen Tisch reservieren. Das wusste ich nicht. Erst seit jenem Vormittag, an dem ich mich für Kaffee und Käsebrötchen im Sitzbereich einer hiesigen Bäckerei einfand und von meinem Tisch vertrieben wurde, weil er für 11 Uhr reserviert war, weiß ich das. Kurz darauf kamen drei deutsche Omas herein, natürlich waren sie es gewesen, die aufgrund ihres riesigen Bedürfnisses nach Ordnung und Sicherheit die Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatten.

Sowieso scheint diese Bäckerei ein sicherer Anker für die Leute der Nachbarschaft zu sein. Quasi ein Stadtteilzentrum des ansonsten toten Viertels. Viele alte Menschen leben hier, auch einige bildungsbürgerliche Familien, die allerdings immer im SUV unterwegs sind und prinzipiell nicht zu Fuß gehen. Man merkt, es existiert ein nicht kleiner Kreis an Stammgästen, der anscheinend täglich die Stunden absitzt. Es ist laut und lebhaft, dicke Männer versuchen sich gegenseitig zu übertönen, jovialen mit den Verkäuferinnen, die mittlerweile resolut mit den zotigen Sprüchen des Altherrenklubs, wie ich ihn nenne, umzugehen wissen.

Wie in einer Eckkneipe ist es hier. Ein Biotop, in dem alles seine Ordnung hat, das man studieren kann, in dem sich manche Dinge niemals ändern, in dem die immer gleichen Geschichten erzählt werden. Nur dass hier keine Spielautomaten hängen, günstiges lokales Bier ausgeschenkt wird und altbackene Rockplatten im Hintergrund dudeln, sondern Torte für die Herzverfettung par excellence serviert wird. Diese Bäckerei ist ein dringend notwendiger Raum für Leute, die wenigstens für ein paar Stunden Ablenkung von ihrer Einsamkeit brauchen. Für Leute, die eine Pause von ihren langjährigen Ehepartnern brauchen. Für Leute, die zu krank oder zu schwach sind, um etwas anderes zu unternehmen.

Man könnte Mitleid bekommen, wenn man beobachtet, wie diese Menschen entweder allein mit leeren Augen vor sich hinstarren oder mit viel Geräusch und Gelächter ihre eigentliche Seelenlage übertünchen. Aber Mitleid bedeutet immer auch, sich auf gewisse Weise zu erheben. Dabei sind diese Menschen keine Opfer, sondern eigenständige Personen, die ihren Lebensweg (hoffentlich) mit erhobenem Kopf gegangen sind.

Vielleicht kann man auch einfach lachen? Ganz ohne Herablassung und Hohn die Skurrilität und Komik gewisser Situationen anerkennen? Wenn beispielsweise der schmerbäuchige Anführer des Altherrenklubs nach einer wortreichen Verdammung der BILD mit darauffolgendem Schwur, sie nie zu kaufen, später heimlich in den Kaiser's nebenan schleicht und neben der Rheinischen Post und einem Päckchen Margarine genau diese kauft? Das ist doch inspirativer Stoff, für eine Charakterstudie oder so.




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