Sonntag, 8. November 2015

Serdar Somuncu: der Hassias gibt ein Heimspiel




Serdar Somuncus erste Handlung nach Abklingen des frenetischen Begrüßungsapplauses ist, uns 1600 Kackwurstschnüfflern (wie er seine Anhänger liebevoll nennt) zu verbieten, zu fotografieren oder zu filmen. Er wolle nicht, dass auf Youtube aus dem Zusammenhang gerissene Statements, wie zum Beispiel „dass er gern auf Juden abjizzt“ hochgeladen werden und er sich dann mit lästigen Briefen von Juden herumschlagen müsse. Wegen solcher Sprüche sind wir alle gekommen, die Halle ist jetzt schon begeistert.

In den folgenden zwei Stunden feiern wir eine Hassiasmesse (offiziell „H2 Universe“), die sich gewaschen hat. Serdar, der selbst ernannte Führer und Gott seiner Hassistensekte, predigt: jede Minderheit hat das Recht auf Diskriminierung. Wer ihn kennt, weiß von den flächendeckenden und bis ans Limit getriebenen Beleidigungen und Verhöhnungen, die er Schwulen, Juden, Schwarzen, Behinderten, Dicken, Ausländern etc. etc. zukommen lässt. Er dreht auf, regt sich dermaßen übertrieben über Muslime, RTL-Redakteure, Öko-Hipster-Nazis, Kölner, Kosovo-Albaner, Bettler und „Whooo“-Schreier aus dem Publikum auf, dass auch der Letzte erkennen muss, dass Serdar hier eine Karikatur, eine bis zur Übelkeit überzeichneten Parodie eines rassistischen und menschenverachtenden Arschloches inszeniert. Doch hätte Serdar nichts anderes drauf als ordinäre Provokationen, würde er wohl nicht seit 30 Jahren erfolgreich auf der Bühne stehen.

Serdar ist einer der reflektiertesten, skeptischsten, unabhängigsten und mutigsten Künstler, die ich kenne. Er stellt sich unbequeme Fragen, beispielsweise, ob wir nicht doch in tausend Kleinstdiktaturen leben, an denen wir teilhaben, ohne es zu wissen. Ob es okay ist, sich als fettbäuchiger und verwöhnter West-Europäer anzumaßen, über Wohl und Wehe hunderttausender Menschen in Not zu entscheiden. Ob wir nicht doch alle lenkbares Menschenmaterial sind, das sich von multimedialer Dauerberieselung verblenden lässt. Wie es sein kann, dass es im Jahre 2015 immer noch deutschen Rechtsradikalismus gibt. Was wir dafür können, dass Integration scheitert.

Diese Fragen stellt er auch uns, dem Publikum, welches an diesem Abend immer wieder zwischen derbem „Harrharr“-Lachen, nachdenklicher Ernsthaftigkeit und Melancholie schwankt. Serdar bietet eine unvergleichliche Mischung aus Vulgarität, Intellektualität und Tiefe, die er am Schluss mit einem zu Tränen rührenden, selbst geklimperten und gesungenen Gospelsong krönt. Er hat übrigens eine grandiose Soulstimme. Wie passend.



Eine Kostprobe Serdars Redekünste:




2 Kommentare:

  1. Heeyy! Nice! Wir gehen am Samstag, den 21. November in Berlin im Tempodrom hin. Freu mich schon! Eigentlich hätte ich Deinen Artikel nicht durchlesen dürfen...narf. Verrät mir zuviel ;-) Egal. Wird trotzdem cool.

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    1. Viel Spaß euch! :) Keine Sorge, da wird aber noch einiges passieren, was ich nicht erwähnt habe.

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