Der Mensch ist
und war immer auf der Suche nach dem guten Leben. Warum bedeutet „das
gute Leben“ heutzutage, dass man freiwillig auf die Dinge
verzichtet, die das gute Leben ausmachen? Genuss, Spaß, Muße,
unvernünftig sein, Nicht-Maß-halten-müssen, Exzess, Emotionalität
und viele andere Kostbarkeiten des Lebens sind so unglaublich
unbeliebt in unserer Welt des perfektionierten Mittelmaßes.
Ich soll
Befriedigung darin finden, mich zu disziplinieren, Verzicht zu üben
und selbst- und fremd auferlegte Verbote und Verhaltensregeln
einzuhalten. Meine Erfüllung soll darin liegen, meine Fehler und
„schlechten“ Angewohnheiten zu erkennen und auszumerzen.
Selbstoptimierung für eine perfekte Zukunft, in der nichts
schiefgehen darf. In der ich möglichst nicht die Konsequenzen der
Vergangenheit tragen soll.
Ungesunde
Ernährung? Kein Sport? Rauchen? Geld verschwenden? Zeit
verschwenden? Auf die Rente scheißen? Gefühle öffentlich ausleben?
Ehrlich sein? Aus dem Affekt heraus eine Dummheit begehen? Alles
uncoole Sachen, die den „Täter“ direkt als unreif,
undiszipliniert, ungehobelt, egoistisch oder bedenkenlos entlarven.
Wer erwachsen ist und mitten im Leben steht, muss doch erkennen, dass
nicht jeder kann, wie er will und dass das Leben kein Ponyhof ist und
dass man dann schon sehen wird, was man davon hat und so weiter.
Im Grunde sind
es doch nur die Zukunftsängste der Menschen, die sie zum Verzicht
auf das Einzige, was sie haben (die Gegenwart), bewegen. Sie schicken
sich ins Arbeitslager Ich, um jegliches potenzielles Unheil, dass sie
in der Zukunft ereilen könnte, so klein wie möglich zu halten. Das
Leben mit seinen perfekten Unperfektheiten wird auf später
verschoben. Wenn man sich sein ganzes Leben lang kasteit und
eingeschränkt hat, hat man sich als Rentner auch mal sein
allabendliches Glas Wein verdient. Aber nur dann.
Erst die
Arbeit, dann das Vergnügen.
Ja, mensch klont sich aus »freien« Stücken, nach der Spießerschablone.
AntwortenLöschenMein ziemlich spießiger Großvater väterlicherseits hatte einen Spruch drauf,
der mir bei Lektüre Deines Artikels prompt wieder einfiel: Wer sich im Alter
wärmen will, muss sich in der Jugend den Ofen bauen. Schon als Kind quietschte
mir da etwas in den Ohren …
Das gerät etwas flach, wenn man nicht nach den Zielgruppen, Anbietern und den konkreten Konstellationen fragt. Denn die Disziplinierung durch Selbstkontrolle geht ja einher mit der allgegenwärtigen Vermarktung von "Gönn dir was" = "Kauf dir das"-Formaten. Für die Prekariaten in quantitativen (XXL-Schnitzel und Elektroschrott) und für die Situierten in qualitativen Optionen (Apple, Craft Beer und Bildungsreisen). Dabei sind die Interessen der Anbieter XXL-Restaurant, Krankenkasse und Versicherungsunternehmen durchaus nicht deckungsgleich, stehen mal quer und mal parallel zu den Interessen des Konsumenten (interessant z.B. Apple Watch als Tracker für die Krankenkasse). Meine These geht eher dahin, dass einfach alles in allen Formaten verkauft wird, eben an die jeweiligen Zielgruppen in den jeweiligen Lebensphasen. Und dass heute Emanzipation von dem Waren- und Konsumfetisch nur durch erkämpfte Distanzen hierzu, schließlich selbstorganisierte Aneignungsformen (geteilter Kleingarten meinetwegen, syndikalisches Wohnen etc.) möglich erscheint. Nicht mehr mit dem Optimismus der 60/70er Jahre, sondern wortwörtlich als Asyl. Denn das gesellschaftliche Drumherum wird uns in der kommenden Dekade eh um die Ohren fliegen. Die Doomsday-Clock wurde dieses Jahr auf drei vor Zwölf gestellt. Für alle Optimisten unter uns wird es traurig sein zu hören, dass alle Prognosen auf diese Zeit der Eskalation von Verteilungs-, Vermüllungs- und unmittelbar kriegerischen Krisen ziemlich düster ausfallen.
AntwortenLöschenDarin liegt auch in meinen Augen das Schätzenswerte am Suchen und Versuchen des Haus Bartleby. Die Renaissance einer gewissen Radikalität, die Nähe zur Theorie mit der Suche nach alternativen praktisch zu realisierenden Lebensformen. So wankend das gerade ausfällt, alles andere ist Einzelkämpferei.