Du
siehst mich auf jeder Vernissage- Du auf'm Fixie, ich auf'm
Dixi- Alles scheiße, Kunst ist für'n Arsch.
MC Fitti, "Fitti mit'm Bart"
Als hochintellektuelle und kulturell interessierte Artverwandte des Bildungsbürgertums konnten Preussischer Widerstand (PW) und ich (Pasota) uns nicht der gestrigen Eröffnung der Ausstellung "EGO UPDATE- Die Zukunft der digitalen Identität" im Düsseldorfer NRW-Forum entziehen. Ich-Bezogenheit, Narzissmus, Selbstdarstellung und Online-Persönlichkeit sind die Schlagwörter, auf die sich die Ausstellungsstücke beziehen. Passenderweise hatte man den hippen Gute-Laune-Rapper und selbsternannten "Selfie-Gott" MC Fitti geladen, der eine Bronzebüste seines Konterfeis mit einer Performance einweihte.
Wie ich den Auftritt fand und was PW in der Ausstellung und im Museumsshop gesehen hat, berichten wir euch folgend im Detail.
Der Auftritt
Die MC Fitti-Performance ist sehr
exklusiv. Nur 70 Leute werden gegen Aufgeld zur Blackbox aka der
Bühne im abgesperrten Ausstellungsraum zugelassen. Der Rest, zu dem
PW, ich und unsere liebe Freundin gehören, drückt sich als Zaungäste im Foyer und Café
herum, wo eine mittelgroße Leinwand die Geschehnisse im Inneren
überträgt. Nach einer Verspätung von 15 Minuten, in denen die
Zuschauerschaft hypnotisiert auf einen Bildschirmschoner in
ironischer Windows 95-Vaporwave-Optik
stiert, geht es los. Der 'Selfie-Gott' stürmt in seinem typischen
signaturelook
(Cap + Sonnenbrille + Bart + Grinsefresse) in den knallbunten
Holzverschlag und startet mit seiner Hipsterhymne „Yolo“. Der
Sound ist miserabel, das Mikro zu leise, der Bass zu laut, die
Akustik der Backsteinvorhalle verzerrt alles zu einem undefinierbaren
Discogelärme. Der Rapper legt jedoch, begleitet von einer tanzenden
Plüschmaus, eine energetische Performance hin und schafft es, das
mitunter steife und vergeistigte Kunstpublikum zum wippen und lächeln hinzureißen. Direkt vor PW's und meinen Augen tut sich ein absurdes
Bild auf: ein asiatischer Kunstsammlertyp älteren Semesters, ganz in
schwarz gekleidet, mit Hut, runder Sonnenbrille und
Lederstiefelletten, genießt zu seinem teuren Abendessen mit Weißwein
die trashige Darbietung und lässt es sich nicht nehmen, verzückt
ein paar Filmaufnahmen mit seinem Smartphone zu machen. Ich denke
darüber nach, wie schwer es mir fällt, MC Fittis Zielgruppe
einzugrenzen. PW hingegen träumt von dem Bratwürstchen, das der
Asiate auf seinem Teller hat. Plötzlich knallt ein Konfettiregen als
Höhepunkt und Finale auf uns herab. Nach nur 5 Songs, darunter sein
bekanntester Hit „Whatsapper“, „Fitti mit'm Bart“,
„Geilon“ und „30 Grad“, endet die Show und Fitti kann seiner
Lieblingsaufgabe nachgehen: Selfies mit seinen zahlreichen großen
und kleinen Fans machen und eine nice Stimmung verbreiten.
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Hurra! Konfetti! |
Die
Gadgets - Museumsshop
Nachdem im Foyer etwas Ruhe eingekehrt
ist, drücken wir uns für eine Weile im Museumsshop herum. Wir wollen schließlich
sehen, mit welchen Gadgets wir unser eigenes perfektes Selfie kreieren können. Neben
‚Do-it-Yourselfie-Guides‘, wo für den
geneigten Egomanen in zahlreichen Bildern beschrieben wird, wie er sich drehen
und verbiegen muss, um das Beste aus seinem Ich herauszuholen, finden sich auch
lustige Verkleidungen für Babys (man kann ja mit der Selbstinszenierung
schließlich nie früh genug anfangen) und Selfie-Sticks von geschätzten 8 Metern
Länge. Anschließend gibt jeder sein Best-of an Geschichten von Selfieunfällen, die jeder
für sich den Darwin-Preis verdient hätten. Ich sag nur Selfie in der
Achterbahn.
Big Dislike übrigens für diese Stempel.
Obwohl vielleicht sollte man die auf der Behörde einführen. Ich habe da so
Ideen fürs Jobcenter oder das Bundesamt für Flüchtlinge. Ironie off.
Die
Ausstellung
Gleich im ersten Ausstellungsraum werden
wir mit Selfies konfrontiert, die in ihrer Darstellung so banal und doch in
ihrer Anordnung auch irgendwie faszinierend auf mich wirken. Gähnende Menschen.
Plötzlich beginne ich zu erahnen, wie viel Milliarden an Fotomaterial sich im
World-Wide-Web befinden muss. Diese Sehnsucht der Menschen jeden Moment
unsterblich zu machen, sich als etwas besonders zu fühlen, sich wie auch immer
auszudrücken, erschlägt mich fast ein bisschen.
Mein preussisches Gehirn
beginnt wieder herum zu philosophieren: Ist das die Angst vor dem Verfall und
dem Tod, die uns ständig antreibt, uns so auf diese Weise zu produzieren? Schließlich
gab es zu jeder Zeit und in jeder Epoche Selbstportraits. Nur, dass im
Mittelalter natürlich nicht jeder dazu fähig war, sich selbst zu zeichnen. Daher
haben wir auch nur die großen Meister wie Dürer, Van Gogh oder Rembrandt auf
die Leinwand gebannt. Würden sie, wenn sie heute lebten, auch lieber „künstlerische“
Selfies von sich machen? Schließlich ist das so viel einfacher.
Heaven is a halfpipe. So zeigt sich das
nächste Kunstobjekt von Erik Kessels mit dem Titel „My Feet“. Mein Dangermouse-Herz schlägt höher als ich feststelle,
dass es sich hier um Erlebniskunst handelt. Ich bin kein Freund davon, mir Kunst
nur pseudointellektuell aus der Distanz anzugucken. Die Halfpipe kann über eine
Treppe bestiegen werden. Während Pasota noch ein wenig mit ihrer Höhenangst hadert,
die sie dann aber tapfer besiegt, schaue ich mir schon mal genauer an, was hier in unzähligen Bildchen abgebildet ist. Füße. Füße in
Schuhen, Socken, Zehen im Sand und auch einige Füße, bei deren Betrachtung wir
uns einig sind, dass derjenige damit dringend zum Arzt sollte. Warum
fotografieren wir uns Stinkemauken? Ich gebe ehrlich zu, dass ich es selbst auch
schon einige Male getan habe, was unter anderem die Fotos oben beweisen.
Besonders beeindruckend finden wir unter
anderem eine Bilderserie von dem britischen Fotograf und Videokünstler Robbie
Cooper. Er thematisiert das ‚Alter Ego‘.
Dabei hat er Gamer neben ihren Avataren abgebildet. Man könnte ja meinen, dass
die Avatare und ihr Erschaffer, wie bei unserem milchgesichtigen
Jungen hier, sich völlig unähnlich sind, doch ich war erstaunt, wie ähnlich manche Onlinespieler
ihren Figuren im Netz sahen. Nicht alle nutzen ihre Phantasie, um in eine
wirklich ganz neue Rolle zu schlüpfen. Ich denke, dieses Thema hätte sogar eine
eigene Ausstellung verdient.
Das Beste habe ich mir natürlich bis zum
Schluss aufgehoben. Die Ausstellung hört nämlich nicht in den Toilettenräumen
auf. Wie auf der Kirmes, wo man seinen Kopf durch eine mit einer fetten,
bärtigen Frau bemalten Bretterwand stecken kann, waren hier die Spiegel mit
sogenannten Selfie Templates abgeklebt. Sich beim Händewaschen lesbischen
Fantasien hinzugeben ist schon interessant. Leider war unsere liebe Freundin etwas
zu klein, um ihr Gesicht in der Spiegelfläche ansehen zu können. Aber was wäre das
Selfie, ohne die ganzen Legionen der Instagram-Babes, die rund um die Uhr für
Männerfantasien verfügbar sind? Wie es wohl auf der Herrentoilette aussieht?!
Für alle Interessierten: Die Ausstellung geht noch bis zum 17.01.2016
alle Fotos by preussischer Widerstand
»Mein preussisches Gehirn beginnt wieder herum zu philosophieren: Ist das die Angst vor dem Verfall und dem Tod, die uns ständig antreibt, uns so auf diese Weise zu produzieren?«
AntwortenLöschenIst nicht jedes Selfie ein Dokument des Verfalls und des Todes – unseres Intellektes und unserer Kultur?
Nicht doch so kulturpessimistisch ;) Aber ich geb dir Recht. Dieser Selfie-Wahn befremdet mich auch.
LöschenInteressante Ausstellung! Leider wohne ich nicht in NRW.
AntwortenLöschenDer Selfie-Wahn und die Like-Jagd auf Facebook zeigen gut auf, in welchem Narzissmus viele Menschen gefangen sind. Abhängig von der Bestätigung anderer, leben sie an der infantilen Oberfläche und sind unfähig und/oder nicht willens auch nur einmal dorthin zu tauchen, wo sich innere Ruhe und Selbstzufriedenheit entwickeln kann.