Irgendwie habe ich Sprichwörter noch nie
gemocht. Als Kind hatte ich ein dunkelblaues Poesiealbum mit einer Pfauenfeder vorne drauf. Schon da konnte ich mit den Sinnsprüchen
wenig anfangen. Trotzdem war ich beleidigt, wenn meine Mitschüler nicht
reinschreiben wollten. Das war noch vor Instagram- und Facebook-Likes.
Das Problem an Sprichwörtern und
Sinnsprüchen ist, dass sie wie eine goldene Münze sind. Sie haben immer zwei
Seiten. Auf den ersten Blick spiegeln sie scheinbar die allgemeingültige Wahrheit einer
ganzen Gesellschaft, vielleicht sogar der ganzen Menschheit wider. Aber auf den
zweiten Blick sind sie bloß großer Mist, der nicht so ganz durchdacht ist. Lebensweisheiten
to go. Nur leider gibt es Einsicht und Weisheit nicht am Drive-In.
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by preussischer Widerstand |
Ein besonderer Lieblingssatz von mir ist:
„Jeder ist seines Glückes Schmied“. Hmm. Das klingt toll. So voller
Selbstwirksamkeit und Möglichkeiten. Ich muss nur wollen und mich richtig
anstrengen, dann kommt das Glück auf Engelsflügeln zu mir angeflogen.
Diese Aussage berücksichtigt nur nicht,
dass im Leben nicht alles planbar und kontrollierbar ist. Sie unterschlägt
einfach die Möglichkeit, dass ich trotz aller Anstrengung scheitern kann. Und
dann? Ja, dann bin ich selber schuld.
Menschen, die achselzuckend an mir
vorbei gehen und in einem gleichgültigen Ton zu mir sagen: Jeder ist seines
Glückes Schmied, sind in meinen Augen asozial. Sie entziehen sich ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung.
Natürlich ist es unbestritten, dass wir
Menschen die Verantwortung für unser Leben übernehmen sollten. Obwohl es
manchmal auf den ersten Blick schwer erscheint, so ist es doch für das
persönliche, wie auch für das Glück der anderen sehr lohnenswert, diese Mühe auf sich zu nehmen. Aber zum einen
kann ich dann die Frage stellen: Was ist Glück, wie es auch Pasota hier schon getan
hat. Und die zweite Frage, die direkt im Anschluss auftaucht, ist die, wie sehr ich
es überhaupt festhalten kann. Schließlich ist alles Glück ziemlich flüchtig. Oder
ist es schon einmal irgendwem gelungen, auch nur einen Moment festzuhalten? Zufriedenheit
wäre da schon das realistischere Ziel.
Aber gut. Wie heißt eine andere „Lebensweisheit“
so schön: Das Leben ist kein Ponyhof. Und ein Wunschkonzert schon gar nicht.
Es ist halt eine Sentenz eines spinnerten Römers: des Cicero-Freundes Claudius Appius.
AntwortenLöschenAlso eines Patriziers und Sklavenhalters. Was hätte er wohl mit einem Sklaven angestellt,
der ihm entflohen wäre, um endlich der Schmied seines Glückes werden zu können?
Interessanterweise geht dieser Spruch gerade solchen Leuten sehr leicht von den Lippen,
die sehr von der Gesellschaft profitieren (etwa von unserer Steuergesetzgebung) und sich
ihre Privilegien als persönlichen Verdienst anrechnen – gerade Menschen gegenüber, die
von eben dieser Gesellschaft mit Füßen getreten werden.