Dienstag, 19. Mai 2015

Jeder ist seines Glückes Schmied - (Un-)sinnsprüche



Irgendwie habe ich Sprichwörter noch nie gemocht. Als Kind hatte ich ein dunkelblaues Poesiealbum mit einer Pfauenfeder vorne drauf. Schon da konnte ich mit den Sinnsprüchen wenig anfangen. Trotzdem war ich beleidigt, wenn meine Mitschüler nicht reinschreiben wollten. Das war noch vor Instagram- und Facebook-Likes.
Das Problem an Sprichwörtern und Sinnsprüchen ist, dass sie wie eine goldene Münze sind. Sie haben immer zwei Seiten. Auf den ersten Blick spiegeln sie scheinbar die allgemeingültige Wahrheit einer ganzen Gesellschaft, vielleicht sogar der ganzen Menschheit wider. Aber auf den zweiten Blick sind sie bloß großer Mist, der nicht so ganz durchdacht ist. Lebensweisheiten to go. Nur leider gibt es Einsicht und Weisheit nicht am Drive-In.
by preussischer Widerstand
Ein besonderer Lieblingssatz von mir ist: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Hmm. Das klingt toll. So voller Selbstwirksamkeit und Möglichkeiten. Ich muss nur wollen und mich richtig anstrengen, dann kommt das Glück auf Engelsflügeln zu mir angeflogen.
Diese Aussage berücksichtigt nur nicht, dass im Leben nicht alles planbar und kontrollierbar ist. Sie unterschlägt einfach die Möglichkeit, dass ich trotz aller Anstrengung scheitern kann. Und dann? Ja, dann bin ich selber schuld.
Menschen, die achselzuckend an mir vorbei gehen und in einem gleichgültigen Ton zu mir sagen: Jeder ist seines Glückes Schmied, sind in meinen Augen asozial. Sie entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
Natürlich ist es unbestritten, dass wir Menschen die Verantwortung für unser Leben übernehmen sollten. Obwohl es manchmal auf den ersten Blick schwer erscheint, so ist es doch für das persönliche, wie auch für das Glück der anderen sehr lohnenswert, diese Mühe auf sich zu nehmen. Aber zum einen kann ich dann die Frage stellen: Was ist Glück, wie es auch Pasota hier schon getan hat. Und die zweite Frage, die direkt im Anschluss auftaucht, ist die, wie sehr ich es überhaupt festhalten kann. Schließlich ist alles Glück ziemlich flüchtig. Oder ist es schon einmal irgendwem gelungen, auch nur einen Moment festzuhalten? Zufriedenheit wäre da schon das realistischere Ziel.
Aber gut. Wie heißt eine andere „Lebensweisheit“ so schön: Das Leben ist kein Ponyhof. Und ein Wunschkonzert schon gar nicht.

1 Kommentar:

  1. promenadenmischung15. September 2015 um 11:53

    Es ist halt eine Sentenz eines spinnerten Römers: des Cicero-Freundes Claudius Appius.
    Also eines Patriziers und Sklavenhalters. Was hätte er wohl mit einem Sklaven angestellt,
    der ihm entflohen wäre, um endlich der Schmied seines Glückes werden zu können?
    Interessanterweise geht dieser Spruch gerade solchen Leuten sehr leicht von den Lippen,
    die sehr von der Gesellschaft profitieren (etwa von unserer Steuergesetzgebung) und sich
    ihre Privilegien als persönlichen Verdienst anrechnen – gerade Menschen gegenüber, die
    von eben dieser Gesellschaft mit Füßen getreten werden.

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