Samstag, 27. Juni 2015

Arbeitnehmerbräute halten still



Zurzeit stecke ich in einem mehrmonatigen „Projekt“ vom Jobcenter. Bei der BA (Bundesagentur für Arbeit) verzichtet man bewusst auf den Begriff „Maßnahme“. Sehr exklusiv und nur den motiviertesten Arbeitslosen vorbehalten, werden dort im Jahr nur eine Handvoll aufgenommen. Vielleicht 30 oder 40 Leute. Das Ding nennt sich Betreuung aus erster Hand. Als meine Fallmanagerin mich dort vor ein paar Monaten freudestrahlend auf die Warteliste gesetzt hat, war mir gar nicht bewusst, welche Vorhölle dies auf dem Weg in die Arbeit werden sollte. Sozusagen das Fegefeuer, das möglicherweise niemals endet.

Ehrlich gesagt, war ich auch ziemlich überrascht, dass ich anscheinend noch so motiviert rüber komme. Vielleicht hatte sie auch nur Mitleid mit mir. So ein armes Akademikerwürstchen muss doch jetzt endlich mal untergebracht werden.

Im Erstgespräch zur Aufnahme in dieses „Projekt“ machte mir die Coachin dann schnell deutlich, dass ich das nicht passiv absitzen könne und sie auch keine Skrupel hätte jemanden bei fehlendem Einsatz hinaus zu werfen. „Für solche Leute sind dann andere Maßnahmen passender.“ Im Klartext: Für die doofen Versager gibt’s dann das fünfte Bewerbertraining oder den 1 Euro Job. Die Drohung klingt in mir nach und sie sollte auch nicht die letzte sein. Trotzdem wurde ich aufgenommen, warum auch immer. Schließlich habe ich schon lange keine Puste mehr.

Seitdem bin ich knapp 4 Wochen dabei und komme mir vor wie eine der Modelkandidatinnen bei Germanys next Topmodel. Und die Coachin ist Heidi Klum. Total angeknipst, wechselt sie von einem Moment zum anderen von der mütterlichen Kummerkastentante zur harten Kapitalismusbitch. Zuckerbrot und Peitsche wie in einem Borderline Alptraum. 

Manchmal fühle ich mich wie eine Braut des Arbeitsmarktes. Wie in der Bräuteschule von 1958. Mein Ziel: Die Verheiratung mit dem Arbeitgeber. Das Dokument, das ich dabei unterschreibe ist der Arbeitsvertrag. Viel Glück und eine lange Ehe. Sei fügsam, geduldig, fleißig und halte dann und wann auch mal still, dann lässt sich dein Arbeitgeber vielleicht auch nicht von dir scheiden. Kranke Arbeitnehmerbräute, die selbst denken und sich Überstunden verweigern mag der Arbeitgeberehemann allerdings gar nicht. Eine gute Frau, äh, Arbeitnehmerin sollte dankbar sein, dass der Arbeitgeber für sie sorgt, ihr ein kleines Taschengeld gibt, damit sie sich ein paar schöne Kleider kaufen kann, damit sie wieder ansehnlich für den Job ist.

Doch bis es soweit ist, muss sie erst mal beweisen, wie willig sie ist. Sie muss lernen ihren Arbeitgeberehemann jeden Wunsch von den Augen abzulesen und sich ganz in ihn einzufühlen. Natürlich reicht es dafür nicht einfach das Anschreiben zum drillonsten Mal umzuschreiben. Da muss man schon ein wenig an der eigenen Einstellung arbeiten. Mach dich interessant, aber nicht so, als ob du den Job nötig hättest. Du bist ja keine Hure. Doch wenn er Interesse zeigt, kann ein Lächeln nicht schaden. Überzeuge ihn mit deinen fachlichen und persönlichen Komptenzen. Und ein wenig kommunikativer geht es doch auch noch. Aber vergiss nicht. Dein Mann kann sehr launisch sein. Deshalb formuliere bitte alles positiv und sei dabei immer fröhlich. Er beleidigt dich nur, um dich zu testen. Das musst du schon ab können. Schließlich kann er sich ja nicht jede Olle ins Haus holen. 


10 Kommentare:

  1. "Sei fügsam, geduldig, fleißig und halte dann und wann auch mal still, dann lässt sich dein Arbeitgeber vielleicht auch nicht von dir scheiden. Kranke Arbeitnehmerbräute, die selbst denken und sich Überstunden verweigern mag der Arbeitgeberehemann allerdings gar nicht."

    Und solltest Du es wagen, schwanger zu werden oder Dich auf einen Job bewerben und bereits ein Kleinkind besitzen , dann bist Du einfach nicht konkurrenzfähig mit den anderen ungebundenen, kinderhassenden Shopping-Queen-Weibsen.

    Letztlich wird einem in diesen "Schulungen" eine Sklavenmentalität eingeimpft. Und vor allem das Leitprinzip Eigenverantwortung. Es gebe keine strukturellen Mechanismen, Ungerechtigkeiten oder Methoden. Es seien alles Einzelfälle. Es liege alles nur an einem Selber. Und der eigenen Einstellung. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Das hat mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun. Das ist Glauben, Religion und Ideologie.

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    1. Dieses Argument mit der Eigenverantwortung ist auch besonders perfide. Man wird ein bißchen bei der eigenen Ehre gepackt und letztlich manipuliert, ohne, dass man es gemerkt hat. Schließlich möchte doch keiner als unselbstständig, bzw. schwach gelten. Also tut man brav alles, was die sagen, damit die einem keine mangelende Motivation vorwerfen können.

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  2. Ich nannte es damals vor zwei Jahren Boot Camp. Hab dort aber trotz meinen eher zurückhaltenden Umgangsformen auch einige nette Leute kennengelernt. Und lustigerweise waren dort viele ehdem arbeitslose Kolleg(innen)en (also SoziologInnen) tätig. Wurde mir dann natürlich auch empfohlen, so einen tollen Coaching-Schein zu machen.

    Grundsätzlich ist es so, dass jeder inzwischen nach einer gewissen Zeit in eine Maßnahme gesteckt wird. Das braucht die Arge/JC für ihr internes Controlling. Daher mein Rat an die Opfer, das abzusehen und selbst zu steuern. Gerade Akademiker haben hier Optionen. Eine Freundin hat z.B. statt der Maßnahme eben eine Selbständigkeit erfunden, da hat man dann auch ein Jahr etwa seine Ruhe. Da sind sie ja schrecklich geil drauf, irgendwas mit Web 2.0, und schon brennt das Hütchen. In Ruhe wird man leider nicht mehr gelassen. Womit man natürlich auch steuern kann, ist über Krankheiten. Sich einen Therapeuten/Psychiater suchen, Probleme hat man eh, und sich entsprechend für den amtsärztlichen Dienst vorbegutachten lassen. In der Opfer-Position ist man eh, daher ist es sinnvoll, deren Spielräume auch zu nutzen. Empowerment eben.

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  3. Ich habe das glaube ich schon mal in einem Kommentar erzählt, ich bin ja nun offiziell wegen mehrerer,unter anderem gesundheitlicher "Vermittlungshemmnisse" raus. Das heißt ich werde in Ruhe gelassen, weil die nach ein paar tausend Bewerbungen, fehlender Finanzierung für Selbstständigen-Konzepte et cetera eingesehen haben die will, die macht, die tut, es ist einfach keine Arbeit da. Quasi-offiziell bin ich pflegende Angehörige eines psychisch kranken Menschen haben die entschieden. Soll mir auch recht sein, denn verglichen mit einigen Kommilitonen habe ich es gut: Ehemalige Grundschullehrerin sortiert Schrauben in Werkstatt für behinderte Menschen nachdem sie psychisch nicht mehr konnte, andere Ex-Lehrerin sitzt in Maßnahmen wo sie 3+7 ausrechnen darf, da sie nach Unfall gehbehindert ist und gehandicapten Menschen nur Maßnahmen speziell für gehandicapte finanziert werden (dürfen?). Noch wer, der mit mir abgeschlossen hat sitzt in einer speziellen Tagesstätte für psychich Kranke fest, weil er durch die lange Erwerbslosigkeit chronisch psychisch krank ist.

    Gerade in NRW soll es übrigens so sein, dass die Agenturen und JC "psychisch Kranke" aus Controlling- bzw. Statistikgründen gern in Wekstätten abschieben. Und bist du da raus bist, dauert es lange. Der LVR (größter nicht kirchlicher Träger in der Gegend mit Sitz in Köln) bekommt wohl viele Zuweisungen auch von Leuten, inklusive Akademikern, die noch nicht mal psychisch krank sind, sondern einfach lange ohne was. (Ich glaube, Epikur hatte auch bei sich mal irgendwas mit der Dresdner Sozialwacht und so einem ähnlichen Fall verlinkt. Ist in NRW nicht anders, laut Integrationsfachdienst.) So kriegt man die Leute aus der Statistik. :(

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    1. Das Video ist ja schockierend. Wenn man nicht funktioniert wird man einfach pathologisiert. Sorry, dass ich das so sage, aber ich kann gar nicht soviel essen wie ich kotzen möchte. Das über den LVR finde ich besonders interessant, da ich mich dort schon öfter beworben habe. Irgendwie fällt es mir zunehmend schwer, da innerlich nicht zu verbittern.

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    2. LVR ist wenn man mal "drinnen" war ein schwieriges Thema. Auch wenn es eventuell auf den Bereich ankommt, ich weiß zum Beispiel nicht wie das im Kulturellen ist.

      Ich wurde damals von Süddeutschland nach NRW zwangsverfrachtet (wenn die Wohnung weg ist, klagt man nicht erst, ohne Wohnung keine Leistung von irgendwo her, und da ich mit Hauptwohnsitz aus einem Studentenwohnheim kam, wo man halt irgendwann raus muss...) um denen im Sozialbereich (ich bin Ökonomin) zuzuarbeiten. Ich war nicht direkt bei denen angestellt, sondern bei einer Art Betreuungsdienst (8,00€ brutto, aber nur weil ich ja so gut ausgebildet war), wurde aber in deren Einrichtungen eingesetzt. Jeder, der nicht mit Scheuklappen dadurch geht...

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  4. Darf ich fragen, ob man da was "Besonderes" "lernt" oder ob das einfach auch nur so ein sinnloses Bewerbungstraining ist, wie sonst auch? Inwiefern ist das jetzt besonders speziell? Das würde mich interessieren.

    Ich war nach dem Studium erstmal auch auf Hartz IV angewiesen und habe mich gewundert, dass da im obligatorischen Bewerbungsseminar eigentlich nur Leute saßen, die alle eine abgeschlossene Ausbildung oder Studium hatten, schon teilweise sehr lange Berufserfahrung vorweisen konnten und trotzdem anscheinend nicht vermittelt werden konnten ("nicht vermittelt" ist auch so ein ganz schlimmer Ausdruck, wie ein Haustier im Tierheim, das keiner will). Die Medien erzählen ja gerne, Hartz IV kriegt nur der, der sogar zu blöd ist, sich morgens den Arsch richtig abzuwischen.
    Ich war ja damals noch sehr naiv und dachte die Arbeitswelt würde anders funktionieren. Einer der sich bemüht, würde schon irgendwann "unterkommen" und gut ist. Ich musste dann irgendwann feststellen, dass das eben nicht so ist. Die Menschen, die in solchen Maßnahmen sitzen, glauben den ganzen Quark da natürlich nicht, weil sie selber Erfahrungen gemacht haben, die ganz anders aussehen, als die, die dort erzählt werden. Aber sie machen den Blödsinn mit, weil ihnen anscheinend nichts anderes übrigbleibt. Da findet ja ein regelrechtes brainwashing statt, was aber auch nichts bringt, weil die "blühenden Landschaften" dadurch auch nicht existent werden.

    Es ist eine festgefahrene Situation. Wie könnte man es ändern?

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    1. Ob man was Besonderes lernt? Jein. Ich finde, in erster Linie ist der Druck dort einfach nur höher. Während man sich in so manchem Bewerbertraining vielleicht einfach etwas stärker zurücklehnen und berieseln lassen konnte, soll man sich in diesem "Projekt" stärker mit seiner Eigenverantwortung auseinandersetzen. Das ist zuweilen absurd und einfach nur aufreibend. Es ist wirklich Gehirnwäsche.
      Ich sitze dort auch ausschließlich mit gut ausgebildeten Leuten zusammen, wo ich mich zu Anfang auch gefragt habe, was die hier machen. Lustigerweise wundere ich mich ja immer noch darüber. Ich sollte es besser wissen.
      Was man daran ändern könnte? Wenn ich das wüsste. Vielleicht würde es helfen sich stärker mit Gleichgesinnten zu organisieren.

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    2. "Wie könnte man es ändern?"

      Auf diese Frage gibt es doch inzwischen unendliche Versuche von Antworten. Die Rezepte sind dabei immer gleich:
      1. Diskurse aufbrechen: Begriffe, Motive und Themen besetzen. Hier könnte eine Literaturliste bis nach Neufundland folgen.
      2. In seinem Umfeld Sprachlosigkeit in Sprache verwandeln. Politisches Bewusstsein entwickeln. Solange die Betroffenen in der Schuldfalle hängen und darin leiden, sich selbst als Opfer verstehen, man sich dafür >entscheidet< sich mehr und mehr zurückzuziehen, entsteht bei den Nicht- und Teilbetroffenen keine Bewegung im Kopf. Die verdrängen ihre Sorgen und Arbeit, Arbeitslosigkeit sowie das zugehörige Zwangssystem geraten aus dem Blick derer, die für Veränderungen einstehen könnte.
      3. An sozialem Kampf führt kein Weg vorbei. Wer sich nicht mit anderen organsiert, wer wider besseres Wissen seine Kreuzchen bei den Wahlen macht, wer denkt, in einem politischen Gemeinwesen seien unpolitische Änderungen an diesem Gemeinwesen möglich, der betreibt auch eine Art innere Immigration.

      Letztlich geht es bei all diesen Themen, von der Arbeit bis zur Verwaltung von Arbeitslosigkeit, um Fragen der Macht und der Verteilung von Profiten. Der komplette Diskurs über die Arbeit und Arbeitslosigkeit wurde aber von der betreffenden Klientel anders organisiert (gestern zufällig mal eine Tagesschau und den Grexit-Brennpunkt gesehen - könnte ich eine Diskursanalyse zu schreiben, haben aber auch andere schon vielfach erledigt), wahrlich im Sinne einer klassischen Ideologie. Und selbst jene, die das durchschauen und ändern könnte, SPD/Gewerkschaften, tun es aus naheliegendem Kalkül nicht. Solange der Mittelstand aber mit einer Politik der Bekämpfung von Arbeitslosen gewonnen werde kann, solange kann es keine Änderungen an den Systemen geben: daher die Bedeutung von 1. und 2.

      Ich finde es wichtig, bei diesen Themen nicht zu tun, als hätte man keine Wahl und sei hilflos. Das Gegenteil ist der Fall. Jede Konstellation der Macht ist jederzeit unter dem (stärkeren oder schwächeren) Einfluss von Gegenmacht. Ich sehe es in meinem Umfeld: Ich bin der einzige, der überhaupt noch politische Themen jenseits der Sensationsgeiferei anspricht und zu diskutieren sucht. Die Entpolitisierung der Arbeitslosen und Geringverdiener ist letztlich das Kernproblem dieser Tage in Deutschland. Und meine Prognose: Nichts wird sich ändern. Ich sehe das an meinen KollegInnen. Alles Akademiker zwischen 22-30. Ich habe unter 150 keinen getroffen, der sich für Politik interessiert, nie eine Unterhaltung über ein politisches Thema erlebt. Bei den Wahlen zum Betriebsrat treten Kandidaten an, die einen Früchtkorb forden, Fragen der Beschäftigungsverhältnisse aber bewusst außen vor lassen. Von der krassen Renaissance des Ressentiments dieser Tage gar nicht erst anzufangen. Vielleicht kann der Kollaps der Finanzmärkte (den viele Gesellschaftswissenschaftler für unausweichlich halten) etwas ändern bzw. die sich daran anschließenden Down-Under-Reaktionen unserer Politik.

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  5. Danke. .. Das ist eine perfekte Umschreibung für meinen Arbeitsplatz ... besser kann ich das auch nicht mehr erklären ...

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