Montag, 22. Juni 2015

Coffee-Rant


Das kollektive Schmiermittel unserer westlichen Gesellschaft ist (nach Geld) wohl Kaffee. Längst dient Kaffee nicht mehr hauptsächlich als Genussmittel, sondern als Allheilmittel und Lebenselexir berufstätiger Menschen. Ein hoher Kaffeekonsum ist in den meisten Fällen ein Anzeichen dafür, dass der Schlaf zu wenig oder zu unruhig, die Arbeit zu stressig oder zu langweilig, der Leistungsdruck zu groß ist, und zwar über einen langen Zeitraum hinweg. Warum also brüsten sich manche Zeitgenossen mit ihrem übermäßigen Kaffeeverzehr? 

Kaffee soll uns dabei helfen, zu funktionieren, unsere Pflichten ohne Wenn und Aber zu erfüllen, uns über Erschöpfung, Krankheit und Katzenjammer hinwegzusetzen, um zuverlässig wie eine deutsche Markenwaschmaschine unseren Dienst zu erfüllen. Angefeuert wird dies durch so grauenhafte und nicht totzukriegende Trends wie Coffee to go und die Zelebrierung des Kaffees als Lifestyleprodukt in Büromenschen-Abfütterungsanstalten wie Starbucks.

Der geläufige Satz "Ich brauch erstmal einen Kaffee, bevor ich zu etwas in der Lage bin" ist in etwa auf der gleichen Stufe wie der Ausruf "Ich hasse Montage, wann ist endlich Wochenende!?" Beide zeugen davon, dass man sich mit seinem unzufrieden machenden Alltag abgefunden hat, dass man grundlegende Bedürfnisse wie Schlaf oder selbstbestimmtes Handeln vernachlässigt und die Befriedigung dieser auf unbestimmte Zeit verschoben hat.

Doch "der böse Montag", an dem man natürlich besonders viel Koffein braucht, um diesen überstehen zu können, ist immer ein guter Gesprächsaufhänger für einander Fremde/Halbbekannte, die nichts miteinander gemein haben, als dass sie pflichtbewusste, geplagte Arbeitstiere sind. Sehr gut kann man das auf diversen Facebook-Seiten beobachten. Mich graust es, wenn ich mitbekomme, wie Leute damit kokettieren, dass sie sich von Wochenende zu Wochenende hangeln und sich zwischendrin mit billigen Durchhalteparolen bei Stange halten müssen. Ich finde solche Lebensaussichten traurig und bedrückend! 

Aber zurück zum Kaffee. Ich mag Kaffee total gerne und trinke ihn auch regelmäßig mit Genuss. Nicht, dass ihr mich für eine militante Anti-Koffein-Predigerin haltet (der gesundheitliche Aspekt von Koffein ist mir übrigens scheißegal). Doch ab und an fühlt es sich ganz cool an, einen ollen Pfefferminztee zu trinken und sich wie eine Rebellin zu fühlen, weil man sich zumindest für kurze Zeit der Maschinerie der aufgeputschen Malochergesellschaft entzieht und stattdessen einen schönen Nachmittag mit dieser stilvollen Queen-Teekanne verbringt.




12 Kommentare:

  1. Bin ich raus weil ich Kamillentee gern mag? (Pfefferminze aber auch.) Mein Verhältnis zu Kaffee ist zwiespältig. Ich trinke ihn morgens oder wenn mir der Kreislauf kippt (ich mag keine Cola), aber eben weil ich mehr oder weniger zu faul bin mir irgendwas anderes zu suchen. (Bin ich jetzt Lemming?) Diesen Hype zum Lifestyle-Produkt habe ich nie verstanden. Das im Coffeeshop, selbst wenn es to go ist hat doch Happening-Charakter. Bloß nicht mal runterkommen... Ich sage ehrlich, dass ich weiß wo von ich spreche in meiner Campus-Clique gab es eine Tradition zu einem bestimmten Anlass bei Starbucks einzukehren und Tchibo hatte zeitweise auch ganz leckere to go. Das war allerdings eben mit diesem einmal im Jahr vorkommenden Anlass verbunden und exakt der Clique. Die Zeiten sind für mich lange vorbei. Selbst wenn ich's Geld hätte, ich würde das nicht mehr machen.

    AntwortenLöschen
  2. Die Heuchelei wird besonders deutlich, wenn es mal wieder die großen Skandal-und-Empörungs-Aufschreie zum Thema Doping beim Sport gibt. Das sei unfair, unsportlich, gesundheitlich bedenklich. Dabei ist Kaffee die völlig legale Arbeitsdroge schlechthin. Ohne ihn würden viele Lohnarbeitsdrohnen schlichtweg nicht funktionieren können. Also wird er geduldet, zelebriert, kultiviert. Solange es dem Umsatz dient, ist eben (fast) alles erlaubt.

    AntwortenLöschen
  3. @ Ina

    In der Vergangenheit war ich auch ein paar Mal bei Starbucks; mir ist allerdings der Appetit darauf vergangen, als ich in Günther Wallraffs Buch "Schöne neue Welt" las, wie rabiat mit den Mitarbeitern dort umgegangen wird. Und machen in der Öffentlichkeit einen auf "Wir haben uns alle lieb im Unternehmen und verkaufen nur fair gekaufte Bohnen von lieben südamerikanischen Bauern".

    @ epikur

    Sehr guter Vergleich! Habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Appetit drauf könnte ich jetzt nicht mal bestätigen. Auch damals nicht.Um zu lernen wie bei Starbucks (und ähnlichem) mit den Mitarbeitern umgesprungen wird brauchte ich den Wallraff nicht - eine Ex-Kommilitonin ist da vom Jobcenter aus hingeschickt worden und war froh, dass die sie nach einer Woche "nicht mehr brauchten", weil sie nicht in den Altersdurchschnitt passte.

      Epikurs Vergleich ist wirklich ein guter Denkanstoß.

      Löschen
  4. "Warum also brüsten sich manche Zeitgenossen mit ihrem übermäßigen Kaffeeverzehr?"

    Machen die das und wer ist das denn? Ich arbeite in einem recht "drohnigem" Milieu. Der Stress rahmt einen dort, kann man sagen. Der Arbeitgeber stellt Wasser, Kaffee, Tee kostenlos zur Verfügung. Mitarbeiter, die nur Kaffee oder sehr viel Kaffee trinken (wie ich bei Frühschichten, daheim trinke ich drei Tassen) bekommen leider keine +++ in ihre Akte. Sie müssen stattdessen die Kanne säubern, was ungern gemacht wird, so dass es nur immer dieselben machen. Wenn man Pech hat, bekommt man ein - in die Akte, weil man seine Pausen überzieht, wegen dem Kaffee und dem Saubermachen. Ich müsste mich jetzt also brüsten, von wegen meinem Arbeitseifer und dem vielen Kaffeekonsum? Macht aber keiner, weil wer sich damit brüstet viel Kaffee zu trinken, gerät in Gefahr sich einem "machst du denn auch mal die Kanne sauber und setzt einen neuen auf?" Konter einzufangen.

    Meine Schwester hat mir mal erzählt, dass sie so eine supidupi Maschine hat, wo man Bohnen reinkippt und irgendwann auch mal seinen Kaffee herausbekommt, gleich in die Tässchen. Irgendein toller Markenname prangt darauf. Ich kenn mich aber nicht mit aus. Dass sie so viel davon trinken, habe ich aber noch nicht erzählt bekommen. Meine Sicht: Kaffee war schon immer beliebt als kleiner Push, kleines Glück im Tagestrott. Und so wurde er auch über Jahrzehnte beworben. Ähnlich wie früher auch Alkohol: War dein Mann nicht nett zu dir, gabs Stress mit den Kindern, ist der Urlaub noch in weiter Ferne... trink doch einen Schnaps, der ist gesund, bringt dich wieder auf Trab und die Welt sieht viel bunter damit aus.

    Heute gilt das als nicht mehr kommod und so hat sich im Marketing vieles auf den Kaffee eingeschossen. Starbucks hat daraus dann einen Workflow-Lifestyle gemacht und das nicht dumm auch in einen Stil seiner Kette verwandelt. Menschen brauchen Alltagsriten, die sie auch auf der Arbeit, selbst unter komplett entfremdeten Bedingungen, aufrechterhalten können. Das sind eben Zigaretten, Kaffee/Tee oder inzwischen bei manchen diese Früchtesmoothies. Es geht um die kleinen Freiräume und Kommunikationsbrücken. Gegen das Koffein oder das Nikotin, den Kick, hat man sich ja längst durch den Überkonsum betäubt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Naja, "brüsten" war jetzt vielleicht das falsche Wort, ich meinte eher sowas wie "betont zur Schau stellen". Das kommt zumindest an der Uni häufiger mal vor, dass Leute auf diese Weise zeigen wollen, wie busy sie sind. Wenn ich im Büro die Kaffeemaschine säubern müsste, würde ich mich allerdings auch bedeckt halten^^.
      Ist ein berechtigter Einwurf mit den Alltagsriten als kleine Freiräume. Ich sehe alles gleich so negativ und übersehe solche Aspekte :)

      Löschen
    2. Schau mal, sehr passend dazu: http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/unternehmensberater-geben-sich-als-workaholics-aus-a-1039782.html

      Hat sich für euch eigentlich irgendwas aus dem Haus Bartleby ergeben? Ich fand darüber euer Blog, aber da ich nicht in Berlin lebe und online nicht mehr viel passiert, bin ich kaum noch dort aktiv. Ich finde das "Forum" auch so gruslig, als Stream, das ist leider schlecht geeignet, um sich einzubringen. Was schade ist, denn ich finde den Ansatz einer radikalen, aber undogmatischen Kritik an der Leistungsgesellschaft spannend.

      Löschen
  5. Zum Artikel: ich kann es gut nachvollziehen, wenn sich Vielbeschäftigte freie Zeit "erschummeln". Ich befürchte nur, dass die Tatsache, dass die Meisten zumindest oberflächlich mitspielen bei dem Ganzen, bei Führungsetagen den Eindruck hinterlässt, es sei total normal und zumutbar, von seinen Angestellten 80 Stunden Arbeitszeit zu erwarten.

    Auf der Seite von Haus Bartleby bin ich mittlerweile auch nur noch selten, weil ich die Seitenführung unübersichtlich finde und nie was finde. Vor ein paar Monaten haben einige Forenmitglieder versucht ein NRW-Treffen zu organisieren, man hat jedoch bis heute nichts mehr von ihnen gehört. Ich glaub, die Gründer fokussieren sich momentan auf ihre Kapitalismusanklage.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da wurde seit langem dran geschraubt, an diesem Modell des flexiblen Menschen, der seiner Karriere alles unterordnet. Und allen gelegentlichen Artikeln zum Trotz, die die Alternativen ausloten, hat sich diese Arbeitskultur heute so tief in den Menschen verankert, dass wir weit von einer Gegenkultur entfernt sind. Ich seh das auch bei uns im Laden, da wird alles geschluckt, nichts hinterfragt, nichts kritisiert, höchstens hinterrücks gejammert. Und meine Kollegen sind zwischen 22-30, alles Studenten, also das, was nun nachkommt.

      Dieses Tribunal wurde ja in den Medien komplett ignoriert. Fand es auch etwas unterkomplex, das einfach als offene Pinnwand ins Netz zu stellen, wo jeder mal was zu schreiben konnte, warum der Kapitalismus doof ist. Da hatten mir die Diskussionsrunden besser gefallen. Aber gut, am Ende muss man sich immer entscheiden, ob man nun so ein Klubdings sein möchte oder eine wie auch immer geartete Bewegung.

      Löschen
  6. Bei der letzten "Women's Petition Against Coffee" 1674 schlug man noch ein "lusty nappy beer" statt Pfefferminztee vor. Tja.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Bier am Tage ist in diesen Zeiten ja auch schwer verpöhnt. Wenn man bedenkt, dass im Mittelalter morgens, mittags, abends gesoffen wurde...aber mir persönlich macht das nichts, ich mag nämlich kein Bier. :)

      Löschen
  7. promenadenmischung10. Juni 2016 um 13:49

    Na, das Bier im Mittelalter hatte auch einen wesentlich niedrigeren
    Alc%-Gehalt als modernes Bier – sonst gäbe es uns heute nicht :D

    Ich bin vom Kaffee weg (Magen mag nimmer) und trinke jetzt einen Grüntee- Nanaminze-Mix – bekömmlicher und genauso belebend. Und Geld spart man auch :D

    AntwortenLöschen