Leute, ich hab Urlaub. Jawohl, Urlaub. Eine
ganze Woche. Wozu braucht man Ferien, wenn man auf Hartz IV ist und eh jeden
Tag bis in die Puppen schlafen kann? Schätzchen, wenn ich dir das erst erklären
muss, hast du’s selbst noch nie erlebt.
Aber dies soll hier heute ohnehin nicht
das Thema sein. Heute beschäftigt mich eine Sache, die für mich weit
schwieriger zu fassen ist, weil sie nicht meiner eigenen Lebenswirklichkeit
entspringt. Ich spreche von einem bestimmten Typus Frau, der irgendwo zwischen
22 und 29 angesiedelt ist. Dieses Mädchen geht vor der Arbeit noch eine Runde
joggen oder rollt ihre Pilatesmatte aus, weil es ihr ja so gut tut. Besonders,
wenn sie anschließend die Bilder davon auf Instagram postet. Zwischen Obsttellern
und Chiapudding sehe ich dann Fotos von neuen Sportklamotten. Ich sag nur #healthy,
#cleaneating, #fitness2015. Ehrgeizig wurde das Studium durch gezogen, weil man
laut eigener Aussage so neugierig auf die Arbeitswelt gewesen ist. Nach dem Bachelor,
der brav in Regelzeit absolviert wurde, schließt sich direkt der Master an. Vielleicht
sogar ein Doppelmaster, weil man ja noch ein paar freie Stunden am Tag übrig hatte.
Selbstverständlich in einer anderen
Stadt, weil das alle so machen. Schnell wird noch das Auslandsemester
dazwischen geschoben, ohne welches du heute ja praktisch keinen Job mehr
bekommst. Alles für den künftigen Arbeitgeber. Der soll anhand all dieser
feinsäuberlich geplanten Lebensstationen ableiten, wie fleißig und ehrgeizig du
bist.
Wer diese Messlatte überhaupt so hoch
gelegt hat und warum dieser Sprint durch das Studium überhaupt nötig ist, braucht
ein kluges Mädchen doch gar nicht hinterfragen. Das ist einfach so. Ist eben alles eine Frage der Organisation.
Das ist das Zauberwort. So lässt sich sogar noch ein Kind zwischendurch
bekommen, die Wohnung wie aus der Ikea-Werbung dekorieren und mit dem Hund am
Strand spazieren gehen. O
r g a n i s a t i o n – du faule Sau. Genauso wie die glänzenden Haare und der straffe
Body. Da muss sich die Frau von heute eben ein bisschen zusammenreißen. Am Ende
des Tages ist sie zwar völlig kaputt, aber super happy, weil alles geklappt
hat.
Ich sehe diese Frauen mittlerweile
überall. Besonders verbreitet ist diese Krankheit der unkritischen Perfektionistin
unter Bloggerinnen. Der Werdegang ist immer gleich. Süße Studentin, DIY, romantische
Hochzeit, Kakao, Mode, vielleicht erstes Kind/ tolle Karriere in einem
stylischen Loft mit Blick auf einen Bonsaigarten oder sogar beides - #dankbar,
#cozy, #kostbareAugenblicke, #ichmusskotzen. Es ist nicht mehr als das
trügerische Abbild eines bis zu Unkenntlichkeit bearbeiteten Hochglanzmagazins namens Leben.
Doch ich will mal nicht ungnädig sein. Frauen
sollten sich schließlich gegenseitig unterstützen und sich nicht untereinander
ständig kritisieren. Das sind doch
disziplinierte, studierte, selbstständige und sogar hartarbeitende Frauen, die
bestimmt auch was zu sagen haben. Angeblich sind die ja in der Welt herum
gekommen, haben in verschiedenen Ländern gearbeitet. Nächste Woche steht sogar ein Geschäftstermin in
Stockholm an und zwischendurch fährt man noch von seinem aktuellen Wohn-/
Arbeitsort in London für ein Wochenende nachhause zur Family, weil man doch im
Herzen so häuslich ist. Doch sobald ich versuche mit ihnen ins Gespräch zu
kommen, bin ich jedes Mal enttäuscht, wie wenig sie eigentlich über das
aktuelle Tagesgeschehen wissen, geschweige denn eine eigene Meinung dazu entwickelt
haben, die etwas über das übliche Betroffenheitsgerede hinaus geht.
Da sitze ich ernsthaft mit jungen Frauen
zusammen, die tatsächlich glauben, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter
absolut geglückt und damit auch kein Thema mehr ist. Oder neulich sprach ich
mit einer mitten im Berufsleben stehenden, wirklich hochqualifizierten Dame,
die mir erklären wollte, dass sich die sozialen Standards bei gewissen
Modeanbietern nachhaltig verbessert hätten. Haben die Pressesprecher ihr das
erzählt und ihr artig versichert, dass sie sich wirklich bessern wollen, oder
was?
Seit wann glauben junge Frauen
eigentlich alles, was ihnen erzählt wird, wie naive Schulmädchen? Seit ihnen
die Universität keinen kritischen Umgang mit Informationen mehr beibringt oder
spätestens, wenn ihnen ihr Arbeitgeber eigenes Denken verbietet?
Da sitze ich ernsthaft mit jungen Frauen zusammen, die tatsächlich glauben, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter absolut geglückt und damit auch kein Thema mehr ist.
AntwortenLöschenWenn man mit Feminismus und Emanzipation vor allem das Mitmachen im neoliberalen Leistungswahnsinn verbindet (wie beispielsweise die tollen Grünen oder die TAZ-Feministinnen), dann ist die "Gleichberechtigung" wohl geglückt. Aber wehe der Frau, die sich dem verweigern will! Die wird dann von den "Frauenrechtlerinnen" (!) fertig gemacht, wie beispielsweise Eva Herman.
Karrierefrau wie aus dem 3D-Drucker – fein säuberlich gestapelte Lebensstation –
LöschenLackschicht auf Lackschicht. Warum hat sowas eigentlich noch Vor- und Familiennamen?
Brauchen wir eigentlich noch den gesamten Wirtschafts- und Wissenschaftsaufwand
zum Klonen von Lebewesen, wenn DIE das schon von sich aus tun?
Hättest Du ein paar Beispiele für solche Bloggerinnen? Ich lese solche Blogs nicht und ich würde da aus Interesse mal reingucken wollen.
AntwortenLöschenUnd ja, ich denke schon, dass vor allem junge Frauen oft die Märchen glauben, die man ihnen erzählt. Als ich jünger war, habe ich auch viel mehr geglaubt, was irgendwo in Medien verbreitet wurde. Bis das Leben dazwischenkam.. ;-) Ich denke, dass viele einfach nur naiv und - man muss es leider sagen - oft auch ziemlich ungebildet sind. Nicht dumm, aber ungebildet. Ich schätze mal, wenn man den halben Tag mit Selbstoptimierung beschäftigt ist und den Rest mit Posten von Kram in sozialen Medien vertrödelt, bleibt nicht mehr viel Zeit für andere Sachen.
Zum Selbstoptimierungsbegriff: mit Selbstvervollkommnung hat das nicht das Geringste zu tun.
AntwortenLöschenMan passt sich optimal an sein Milieu und dessen Codices an, jeglichen Vorteils durch Anpassung willen. Es entspricht dem Darwin´schen »Survival of the fittest« – im Wortsinn »Überleben des/der
Angepasstesten«. D.h.: ein erwünschtes Detail des Big Picture darzustellen, i.S. der Teilhabe an dessen Gratifikationsprozessen. Bildung (d.h. sein eigenes Welt- und Selbstbild erarbeitet haben
bis zu dessen Inkorporation) kann da nur im Wege stehen, als fehlfarbener Formfehler. Und – tut mir
Leid! – Intelligenz ohne Selbstreflexion ist bloße Intelligenzreflektion, oder ein Set aus intelligenten
Reflexen.
Gut zu wissen, das. 'Selbstoptimierung' ist schon ein Begriff, den ich gerne benutze. Jetzt kenne ich auch seine eigentliche Bedeutung.
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