Neulich Nacht konnte ich nicht schlafen. Fragen trieben mich um. Werde ich je einen Job finden, der zu mir passt, mit einigermaßen fairer Bezahlung, von der man leben kann? Irgendwann schaltete ich den Fernseher ein, um mich von diesen Gedanken abzulenken. Während ich mich durch die Sender zappte, immer in der Erwartung entweder trashige Horrorfilme oder Werbung für Sexhotlines zu sehen, blieb ich schließlich an einer Doku über die Aldibrüder hängen. Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in adretten Anzügen und Filmausschnitte aus den 50ziger, 60ziger Jahren rauschten an meinen verschlafenen Augen vorbei. Erzählt wurde die Geschichte von Karl und Theo Albrecht und ihrem unglaublichen Aufstieg in der Nachkriegszeit. Diese kapitalistischen Fürsten haben Deutschland unter sich aufgeteilt mit einer Selbstverständlichkeit, zu der ich lange keine besondere Meinung hatte, weil ich mit Aldi einfach aufgewachsen bin.
Meine mittlerweile verstorbene Großtante
wäre niemals bei Aldi einkaufen gegangen. Aldi, das war für sie ein Laden, in
dem nur die Armen einkaufen gingen. Selbst wenn sie es nötig gehabt hätte,
hätte sie sich dieser Schande trotzdem nicht ausgesetzt. Lange habe ich gar
nicht verstanden, weshalb es ihr so zuwider war.
Aber die Umstellung vom kleinen,
gemütlichen Stubenladen mit vielen Verkäuferinnen, hin zu, mit kalten
Neonröhren beleuchteten großräumigen Discountern mit zwei verloren wirkenden
Kassiererinnen muss auch eine ziemliche Umstellung für die Leute gewesen sein. Eine
nette Unterhaltung mit der Verkäuferin war ja nun nicht mehr möglich. Die
Effizienz und der totale Konsum hatten Einzug gehalten.
Mir kam ein Erlebnis in den Sinn, dass
ich selbst einmal bei Aldi gehabt habe. Ich hatte einen etwas größeren
Lebensmitteleinkauf gemacht und stand an der Kasse. Aldi liegt bei mir die
Straße runter. Ich laufe bloß ein paar Schritte dort hin. Daher lohnt es sich
für mich auch nicht, einen Einkaufswagen zu benutzten. Schließlich kann ich nur
das mitnehmen, was in meine Stoffbeutel passt. Ein Einkaufswagen würde mich nur
unnötig dazu verführen, mehr mitzunehmen, als ich tragen kann.
Mit rücksichtsloser Geschwindigkeit zog
der Kassierer meine Waren über den Scanner. Ich versuchte mich wirklich zu
beeilen. Hilflos stopfte ich meine Sachen in die zwei Beutel. Aber ich kam kaum
hinterher. Auf der winzigen Fläche hinter der Kasse türmten sich immer mehr
Waren. Ich fühlte mich wie Charlie Chaplin in Modern Times.
Ich war natürlich noch nicht fertig, als
der Verkäufer mir bereits den Preis nannte. Hastig versuchte ich noch die
letzten 3 Teile einzupacken, damit ich dem Kunden nach mir nicht
weiter im Weg stand. Offensichtlich dauerte dies dem Kassierer zu lange und er
sagte ziemlich bevormundend zu mir: „Nehmen sie bei ihrem nächsten Einkauf bei
uns bitte doch einen Wagen. Sie lassen die Kunden hinter ihnen jetzt unnötig
warten.“ Mein Kopf wurde rot. Schamerfüllt blickte ich die lange Schlange an
Kunden hinter mir an, die ja wegen mir jetzt warten mussten. Dies war mein
erster Impuls. Doch plötzlich machte es in meinem Kopf klick.
Die ganze Zeit hatte ich überlegt, wie
ich schnell und effektiv die Waren in meinen Beutel stopfen konnte, um auf die
anderen Leute Rücksicht zu nehmen und niemanden zu verärgern. So wird man von
diesem System von Kindesbeinen an automatisch erzogen. Und nun unterstellte mir
dieser Typ, ich würde mich nicht genug beeilen und diesem ganzen Effizienzgedanken
im Wege stehen? Plötzlich wurde ich wütend. Der Platz hinter den Kassen ist bei
Aldi extra so kurz, bzw. ohne ein langes Abrollband, wie in manch anderen Läden,
um eine höhere Kundenfrequenz zu erreichen. Wäre solch ein Band vorhanden,
könnte ich in Ruhe meine Ware einpacken und müsste mich nicht jedes Mal so
abhetzen.

Du darfst konsumieren, aber bitte
schnell und anschließend spuckt dich der große Laden wieder auf die Straße. Der
Verkäufer verwies mich anschließend noch auf das angebliche Schild am Eingang,
wo darauf hingewiesen würde, dass jeder Kunde dazu angehalten sei, sich doch
bitte einen Einkaufswagen zu nehmen.
Aldi hat dazu beigetragen, dass unsere
Welt so schnelllebig und gehetzt geworden ist. Ebenso hat er unser Verständnis
davon geprägt, welchen Wert wir Dingen beimessen und dieser ist teilweise nicht
mehr besonders hoch. Wir kaufen dort ja nicht nur billige Lebensmittel, sondern
auch Non-Food-Artikel. All dies muss auch jemand produzieren. Damit wir
gestresst nach dem Feierabend noch schnell günstig einen Laptop und einen
Fertigsalat besorgen können, werden woanders auf der Welt Menschen ausgebeutet
und die Umwelt zerstört.
Auf meinem Fernsehbildschirm flimmerte
das Foto von zwei irgendwie verschrobenen Männern in billigen Anzügen. Krämerseelen,
die das Bewusstsein einer ganzen Gesellschaft in einem Maße geprägt haben, wie
ich es mir in die umgekehrte Richtung auch einmal wünschen würde.
Es gibt Leute, die Strichcodes unleserlich machen, damit sie mehr Zeit zum Packen haben.
AntwortenLöschenEcht? Latschen die dann heimlich mit 'nem Edding durch die Gänge?
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