Mittwoch, 18. März 2015

Die Gebrüder Aldi – Ein Dienstleistungsmärchen


Neulich Nacht konnte ich nicht schlafen. Fragen trieben mich um. Werde ich je einen Job finden, der zu mir passt, mit einigermaßen fairer Bezahlung, von der man leben kann? Irgendwann schaltete ich den Fernseher ein, um mich von diesen Gedanken abzulenken. Während ich mich durch die Sender zappte, immer in der Erwartung entweder trashige Horrorfilme oder Werbung für Sexhotlines zu sehen, blieb ich schließlich an einer Doku über die Aldibrüder hängen. Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in adretten Anzügen und Filmausschnitte aus den 50ziger, 60ziger Jahren rauschten an meinen verschlafenen Augen vorbei. Erzählt wurde die Geschichte von Karl und Theo Albrecht und ihrem unglaublichen Aufstieg in der Nachkriegszeit. Diese kapitalistischen Fürsten haben Deutschland unter sich aufgeteilt mit einer Selbstverständlichkeit, zu der ich lange keine besondere Meinung hatte, weil ich mit Aldi einfach aufgewachsen bin.


Meine mittlerweile verstorbene Großtante wäre niemals bei Aldi einkaufen gegangen. Aldi, das war für sie ein Laden, in dem nur die Armen einkaufen gingen. Selbst wenn sie es nötig gehabt hätte, hätte sie sich dieser Schande trotzdem nicht ausgesetzt. Lange habe ich gar nicht verstanden, weshalb es ihr so zuwider war.
Aber die Umstellung vom kleinen, gemütlichen Stubenladen mit vielen Verkäuferinnen, hin zu, mit kalten Neonröhren beleuchteten großräumigen Discountern mit zwei verloren wirkenden Kassiererinnen muss auch eine ziemliche Umstellung für die Leute gewesen sein. Eine nette Unterhaltung mit der Verkäuferin war ja nun nicht mehr möglich. Die Effizienz und der totale Konsum hatten Einzug gehalten.
Mir kam ein Erlebnis in den Sinn, dass ich selbst einmal bei Aldi gehabt habe. Ich hatte einen etwas größeren Lebensmitteleinkauf gemacht und stand an der Kasse. Aldi liegt bei mir die Straße runter. Ich laufe bloß ein paar Schritte dort hin. Daher lohnt es sich für mich auch nicht, einen Einkaufswagen zu benutzten. Schließlich kann ich nur das mitnehmen, was in meine Stoffbeutel passt. Ein Einkaufswagen würde mich nur unnötig dazu verführen, mehr mitzunehmen, als ich tragen kann.
Mit rücksichtsloser Geschwindigkeit zog der Kassierer meine Waren über den Scanner. Ich versuchte mich wirklich zu beeilen. Hilflos stopfte ich meine Sachen in die zwei Beutel. Aber ich kam kaum hinterher. Auf der winzigen Fläche hinter der Kasse türmten sich immer mehr Waren. Ich fühlte mich wie Charlie Chaplin in Modern Times.
Ich war natürlich noch nicht fertig, als der Verkäufer mir bereits den Preis nannte. Hastig versuchte ich noch die letzten 3 Teile einzupacken, damit ich dem Kunden nach mir nicht weiter im Weg stand. Offensichtlich dauerte dies dem Kassierer zu lange und er sagte ziemlich bevormundend zu mir: „Nehmen sie bei ihrem nächsten Einkauf bei uns bitte doch einen Wagen. Sie lassen die Kunden hinter ihnen jetzt unnötig warten.“ Mein Kopf wurde rot. Schamerfüllt blickte ich die lange Schlange an Kunden hinter mir an, die ja wegen mir jetzt warten mussten. Dies war mein erster Impuls. Doch plötzlich machte es in meinem Kopf klick.
Die ganze Zeit hatte ich überlegt, wie ich schnell und effektiv die Waren in meinen Beutel stopfen konnte, um auf die anderen Leute Rücksicht zu nehmen und niemanden zu verärgern. So wird man von diesem System von Kindesbeinen an automatisch erzogen. Und nun unterstellte mir dieser Typ, ich würde mich nicht genug beeilen und diesem ganzen Effizienzgedanken im Wege stehen? Plötzlich wurde ich wütend. Der Platz hinter den Kassen ist bei Aldi extra so kurz, bzw. ohne ein langes Abrollband, wie in manch anderen Läden, um eine höhere Kundenfrequenz zu erreichen. Wäre solch ein Band vorhanden, könnte ich in Ruhe meine Ware einpacken und müsste mich nicht jedes Mal so abhetzen.
Aldi geht es ja nicht darum, dass sich der Kunde wohlfühlt. Schließlich wiederspricht dies dem ganzen Konzept eines Discounters. Der Kunde soll schnell einkaufen und dann wieder verschwinden. Das fehlende Abrollband nach der Kasse symbolisiert gewissermaßen den Fußtritt, mit dem der Käufer hinausbefördert wird, nachdem man ihm das Geld abgeknöpft hat.
Du darfst konsumieren, aber bitte schnell und anschließend spuckt dich der große Laden wieder auf die Straße. Der Verkäufer verwies mich anschließend noch auf das angebliche Schild am Eingang, wo darauf hingewiesen würde, dass jeder Kunde dazu angehalten sei, sich doch bitte einen Einkaufswagen zu nehmen.
Aldi hat dazu beigetragen, dass unsere Welt so schnelllebig und gehetzt geworden ist. Ebenso hat er unser Verständnis davon geprägt, welchen Wert wir Dingen beimessen und dieser ist teilweise nicht mehr besonders hoch. Wir kaufen dort ja nicht nur billige Lebensmittel, sondern auch Non-Food-Artikel. All dies muss auch jemand produzieren. Damit wir gestresst nach dem Feierabend noch schnell günstig einen Laptop und einen Fertigsalat besorgen können, werden woanders auf der Welt Menschen ausgebeutet und die Umwelt zerstört.
Auf meinem Fernsehbildschirm flimmerte das Foto von zwei irgendwie verschrobenen Männern in billigen Anzügen. Krämerseelen, die das Bewusstsein einer ganzen Gesellschaft in einem Maße geprägt haben, wie ich es mir in die umgekehrte Richtung auch einmal wünschen würde.

2 Kommentare:

  1. Es gibt Leute, die Strichcodes unleserlich machen, damit sie mehr Zeit zum Packen haben.

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  2. Echt? Latschen die dann heimlich mit 'nem Edding durch die Gänge?

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