Donnerstag, 28. Juli 2016

Von der Korrelation zwischen Profilbild und politischer Gesinnung




Es gibt ein Internetphänomen, das mir seit mindestens einem Jahr verstärkt auffällt: 

Leute, die in sozialen Netzwerken rechte, rechtskonservative oder zumindest bürgerliche Stammtischsprüche abdrücken, haben frappierend häufig Fotos von ihren Hunden, Katzen und Kindern als Profilbild (bei Herren auch gerne Autos und Fußballmotive).

Wie kommt das?

Wollen sich die besorgten Bürger, oder auch Schüler der „hohen Schule des Lebens“, die bei „geht dich nix an“ arbeiten, der digitalen Transparenz den Stinkefinger zeigen und sich nicht zum gläsernen Bürger machen lassen?

Wollen sie die Anonymität wahren, um sich ohne Hemmungen schriftlich austoben zu können, zwar nicht in einem rechtsfreien Raum, dafür aber abgeschirmt von einer möglichen realen und spürbaren Missbilligung der eigenen Person?

Wollen sie ihre Verwundbarkeit minimieren und Angriffsflächen bezüglich ihres Aussehens gar nicht erst bieten?
 
Oder ist ihnen einfach in ihrem beschränkten Mikrokosmos nichts wichtiger als das heimische Biedermeierglück, bestehend aus Haus, Hund und Familie?


Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dass ich Leute nicht ernstnehmen kann, die Posts mit den Schlagwörtern "linksgrünversifft", "Sozialromantiker" und "RESPEKT FÜR IHRE MEINUNG!!!" hinterlassen; erst recht nicht, wenn diese in Kombination mit einem putzigen Golden Retriever oder den Balkonblumen als Profilbanner auftauchen.

Samstag, 7. Mai 2016

Die schlimmsten Experten im Internet




Horrorfilm-Experten: fühlen sich dir überlegen, wenn du dich bei einem Film gruselst, denn sie „voll lame und unspannend“ finden. „Dieser Film hat einen ganz okayen Plot...aber die Effekte waren lächerlich“ und „Also wer DEN Film schon schlimm findet, sollte überhaupt keine Horrorfilme gucken“ gehören zu oft verwendeten Sätzen dieser Art von Hobby-Cineasten.

Satire-Experten: wissen, was Satire darf und was nicht. Was genau der Begriff eigentlich bedeutet, ist nicht immer klar. Man kann aber auch einfach sagen „Du hast keinen Humor, wenn du nicht drüber lachen kannst“ oder „Du bist ein Arschloch, weil du drüber lachen kannst“.

Ernährungs-Experten: kennen die einzig richtige Ernährungsweise für jeden Menschen auf der Welt und preisen mit großem Eifer die abseitigsten Trends der „Foodszene“. Paleo, Fructarier, Raw Food, No Carb, No Fat, Makrobiotik usw. Viele Grüße an Freelee the banana girl, die mind. 50 Bananen am Tag frisst und trotzdem total „healthy and slim“ ist.

Medien-Experten: haben längst durchschaut, wie die privaten Sender mit ihrem Verblödungsprogramm das deutsche Volk verdummen und unterhalten, jaja, Brot und Spiele. Deshalb ist es wichtig, auf den FB-Seiten der einzelnen Sendungen wie Circus HalliGalli oder Neo Magazin Royale ellenlange Monologe über die Niveaulosigkeit und Verschwendung von GEZ-Gebühren auszulassen.

Demokratie-Experten: in rechten wie linken Spektren zu finden; der Linke sieht überall Faschismen und Gefahren für die demokratischen Werte, während der Rechte sich permanent in seinen Grundrechten beschnitten fühlt. Beide pochen selbstgerecht auf die Verwirklichung ihres eigenen Weltbildes.

Merkel-Experten: Merkel ist das Übel der westlichen Zivilisation, wenn die irgendwann weg ist, wird alles gut. Kriege hören auf, Flüchtlinge lösen sich in Luft auf, Bankstern wird endlich das Handwerk gelegt, die Altersarmut wird abgeschafft und überhaupt würde sich DAS GANZE FUCKING SYSTEM ändern. Deshalb ist es Zeit, die Alte endlich mithilfe von Onlinepetitionen zu stürzen.

Rechtschreib-Experten: verschenken Gelegenheiten, dem Diskussionspartner mit schlagkräftigen Argumenten entgegenzutreten, indem sie neunmalklug auf Tipp-, Rechtschreib- und Grammatikfehler hinweisen ( halten auch „Mimimi“ für einen gelungenen Konter).

Lebens-Experten: haben sich aufgrund der Tatsache, dass sie 40 Jahre lang hart (!) gearbeitet und Kinder großgezogen haben, eine Lebensweisheit erworben, die über jeden Tadel erhaben ist. Die Ansichten jüngerer Leute können natürlich nur falsch sein, schließlich haben die Grünschnäbel noch gar keine Lebenserfahrung.

Hip-Hop-Experten: sie kennen sich aus im Rapgame, haben den besten Geschmack, wissen, wer whack und wer dope ist und lassen keine anderen Meinungen zu. Die eigenen Lieblingskünstler werden blind und aufs Blut verteidigt und alle anderen werden gehatet. Auf Youtube beweisen sie ihre Kompetenz mit beleidigenden Einzeilern.

Kategorisierungs-Experten: lieben es, Menschen zu beobachten und in Schubladen einzuteilen, gehässig über sie zu schreiben/denken/reden und sich toll zu fühlen, weil man sie alle entlarvt hat.

Donnerstag, 21. April 2016

Stuckrad-Barre ist zurück...

  
via Rheinische Post 

...und er liebt ihn immer noch, den großen Auftritt. "Bumping Ben" ist nach einem fünfzehnjährigen Tief wieder auf der Bildfläche erschienen und zwar mit nicht weniger als einem autobiographischen Bestsellerroman mit dem Namen  "Panikherz". Vor einigen Tagen kam er dann ins ausverkaufte Zakk in Düsseldorf, um vor knapp 400 Leuten, die schon sehnsüchtig auf Neuigkeiten vom gefallenen und phönixartig wiederauferstandenen Popliteraten der späten 90er/frühen 2000er warteten, zu lesen. 

Die Eckdaten seiner Karriere und vorallendingen seiner Verfehlungen dürften Dank einer ausführlichen medialen Aufbereitung noch Einigen in Erinnerung sein. Auf's allerkürzeste heruntergebrochen: Anfang 20 riesige Erfolge als Schriftsteller und Musikjournalist, Ruhm, große Klappe, Shitstorms, Bulimie, Kokainsucht, Alkoholmissbrauch, zahlreiche gescheiterte Klinikaufenthalte und Therapien, immer dabei das musikalische Idol Udo Lindenberg, der letztendlich auch die Rolle des Retters einnimmt.

Nun hatte er nach 9 Jahren des clean-Seins die nötige Energie und Ordnung im Kopf, um alles, was zwischen Geburt und Gegenwart geschah, auszuformulieren. Und das, ohne einen prätentiösen oder larmoyanten Ton anzuschlagen. Noch immer weiß Stuckrad-Barre seine Leserschaft mit scharfsinnigen, ironischen, klugen und lustigen Betrachtungen zu begeistern; auch wenn es diesen mittlerweile an dem für BvStB eigentlich charakteristischen bitterbösen Zynismus (den ich in seinem Erstlingswerk "Soloalbum" so liebe) fehlt. Eine Vielzahl an Songzitaten, Anekdoten aus dem Showbiz und kulturellen Intertextualitäten verhindern, dass der Autor mit seiner bisweilen wirklich sehr dramatischen Lebensgeschichte in einen mitleiderregenden Betroffenheitsduktus abgleitet, der das Buch wirklich peinlich gemacht hätte.

Vorgestern Abend versprühte er, als wäre es nie anders gewesen, seinen liebenswerten Charme und nahm sich im Anschluss Zeit für persönliche Gespräche mit Fans. Und die Stagediving-Aktion im bestuhlten Saal ließ er sich natürlich nicht nehmen. Wir seien ja schließlich nicht bei Durs Grünbein im Goethe-Institut.


Sonntag, 17. April 2016

Ist Scheiße vegan?



Deutsche Jugendliche leben immer gesünder. Sie rauchen weniger, trinken weniger, rennen fünfmal die Woche ins Fitnessstudio und ernähren sich von Chiapudding und Erdmandelmehl. Spätestens Anfang 20 wird dann nur noch vegan gegessen. Mich ödet das so an.
Ja, ich gebe es zu. Auch ich habe so eine Phase hinter mir. Etwa 1 Jahr   lang habe ich mich mit 20 vegetarisch ernährt. Irgendwann  habe ich dann wieder angefangen Fleisch zu essen, aber nie wieder in den Mengen, wie ich es von zuhause her kannte. Diese Reduzierung meines Konsums ist mir aber auch nicht schwer gefallen, da ich wirklich gerne Gemüse esse und oft auch keine Lust auf Fleisch habe.
Prinzipiell habe ich auch  nichts gegen vegane Ernährung. Da ich alles Mögliche gern esse, bestelle ich mir auch dann und wann gerne einen Veggieburger oder probiere ein veganes Kuchenrezept aus. Why not?
Trotzdem provoziert dieser ganze, fast religiöse Hype um vegane Ernährung bei mir oft nur Augenrollen.

via Pinterest

Deshalb stelle ich heute meine Top 6 an Aussagen vor, die mich von, wohlgemerkt Hardcore-Veganern nerven:



1.    Vegane Ernährung ist gar nicht teurer

Nö, natürlich nicht, wenn man sich nur von Gemüse und Obst ernährt. Wobei – Obst und Gemüse stammen dann in der Regel natürlich nicht aus dem Discounter. Schließlich muss ja alles Bio sein, wenn man es konsequent betreiben will. Denn letztlich ist das nicht nur eine Ernährungsweise, sondern eine komplette Ideologie. Aber dazu später. Ansonsten sind vegane Fertigprodukte, wie Tofu, Käse oder Mandelmilch sehr wohl teuer. Ich möchte wetten, dass eine Familie mit Hartz IV vermutlich nicht streng vegan essen wird, da ein 10 Euro teures Glas mit Mandelmus eher nicht so ins Budget passt. Eine junge Studentin, die sich Tag für Tag durch das Kayla Itsines Sportprogramm quält und glaubt, sich dazu noch vegan ernähren zu müssen, kratzt sich das Geld wahrscheinlich schon eher zusammen. Diese Mädels haben aber auch noch die Zeit sich den ganzen Tage nur mit sich selbst und ihrem Körper zu beschäftigen. Schließlich geht es neben dem Schutz der Tiere auch um Selbstoptimierung.


2.    Vegane Ernährung ist super easy

Wo ist es denn bitte einfach sich vegan zu ernähren? Wo wir wieder bei Punkt 1 wären. Ich esse gerne abwechslungsreich und möchte nicht ausschließlich gedünstetes Gemüse essen. Das geht wahrscheinlich wirklich schnell. Doch wenn ich mich abends nach der Arbeit noch in die Küche stellen muss, um mir ein veganes Bananenbrot mit veganem Frischkäse komplett selbst her zu stellen, finde ich das nicht gerade schnell gemacht. Schließlich kann ich dann nicht mehr in die Betriebskantine oder zum Bäcker in der Mittagspause gehen, wenn ich nicht jeden Tag Salat ohne Dressing essen möchte.
Aber hey. Ist ja wieder alles nur eine Frage der Organisation, werden die meisten sagen. Diese Veganhipster, die morgens um 5:30 Uhr Yoga machen, weil es so erfrischt, um dann um 6:30 Uhr an ihren Startups basteln. Ein bisschen Disziplin kann man schon erwarten, oder?

3.    Vegane Ernährung ist gesund

Naja. Kommt vermutlich darauf an, wie man es persönlich umsetzt. Aber wenn ich in veganen Shops das Angebot an Vitaminpräparaten sehe, schätze ich mal, dass einige Veganer aus Ermangelung an Lust und Zeit ihre Ernährung mit solchen Produkten ergänzen müssen. Die Tabletten sind natürlich ohne Schweinegelatine hergestellt, versteht sich. Super vegan also.
Healthy ist das neue Modewort. Vegane Produkte suggerieren diese Gesundheit. Dabei macht es mich nicht gesund, wenn ich Weizengrassaft oder Dattelpralinen esse. Diesen Denkfehler machen die meisten Menschen. Sie glauben, wenn sie Tofu essen, werden sie hundert Jahre alt. Ganz so, als besäßen diese Lebensmittel Zauberstoffe, die sie unsterblich machen. Das Motto vieler lautet dann: Viel hilft viel. Aber wenn ich mich den ganzen Tag mit Gojibeeren und Bananen vollstopfe, kriege ich höchstens Verstopfung.
Außerdem sind gerade vegane Fertigprodukte so voll von Zucker und Fett, dass ich mich frage, was daran gesund sein soll. Neulich habe ich eher aus Versehen bei Rossmann eine vegane Nougatschokolade gekauft. Die war echt der Hammer. So lecker. Beim  Blick auf die Zutatenliste wurde mir aber schnell klar, dass die Tafel  im Grunde nur aus Zucker bestand.
Auch ist vegan auch nicht in jedem Fall lecker, wie einige schwärmerische Veganer immer vorgaukeln wollen. Sorry, aber ich habe Mandelmilch und auch Sojamilch probiert und sie schmeckt einfach nur scheiße. 



4.   Vegane Ernährung ist Lifestyle

Eigentlich hätte dies auf  meiner Liste Punkt 1 sein müssen, so sehr hasse ich diese Perspektive auf vegane Ernährung. Ich sehe in der Bahn öfter eine Oma mit einem „Go Vegan“-Anstecker an ihrer beigen Jacke. Dabei ist genau diese Frau überhaupt nicht die Zielgruppe des veganen Lifestyles. Veganismus  ist mittlerweile zum Kennzeichen des erfolgreichen, schönen und disziplinierten Menschen verkommen. Noch plakativer gesagt: Gesunde, schlanke Menschen gelten als gut. Fette, ungesunde Menschen als schlecht.  
Gesundheit ist damit auch keine Privatsache mehr. Jeder kann dir mittlerweile empört rein reden, wenn du genüsslich in deine Schweineohrchips beißen möchtest.
Zudem  schmücken sich die meisten Veganer gerne noch mit dem Gefühl der Überlegenheit, da kein Tier für ihr Mittagessen sterben musste. Vor zehn Jahren hat es noch ausgereicht Vegetarier zu sein. Da war man schon irgendwie besonders. Mittlerweile ist es noch nur die lahme Vorstufe zum eigentlichen Ziel, zu dem man sich aber noch nicht ganz durchringen konnte: Veganismus. Vegetarier sind unfertig und haben es nicht geschafft, allem Tierischen abzuschwören.
Vor 10 Jahren konnte meine Freundin, die sich vegetarisch ernährt, noch guten Gewissens sagen, dass sie dies tut, um Tiere zu schützen. Die meisten Veganer lächeln heute darüber nur noch müde.


5.   Vegane Ernährung als Challenge

30 Tage vegan. So oder so ähnlich kündigen Blogger oder Youtuber ihren Einstieg in vegane Ernährung an. Mir stellen sich da sämtliche Nackenhaare auf. Der Begriff der guten, alten Selbstoptimierung kommt in mir wie Kotze hoch. Kann ich das vielleicht als Zusatzqualifikation in meinen Lebenslauf schreiben? Wieder zeige ich allen um mich herum meinen Leistungswillen und mein Streben nach Perfektion. Ein perfektes Leben, einen perfekten Körper, eine perfekte Ernährung, nichts weniger sollten wir anstreben. Wie heißt es in einem Spruch, den ich öfter in letzter Zeit lese: „Excuses don’t burn calories.“


6.    Vegane Ernährung schont die Umwelt

In einem Zeitartikel beklagte sich eine junge Frau, dass es keinen vernünftigen veganen Wintermantel gäbe. Nach langem Suchen fand sie endlich einen aus irgendeinem Plastikmaterial.  „Und jetzt?“ dachte ich nach der Lektüre. „Ist das jetzt irgendwie besser?“ Gut, es muss ja nicht die mit Daunenfedern gefüllte Steppjacke, mit Echtfellkragen sein. Bin ich jetzt auch gerade kein Freund von. Aber hat man jetzt durch den Kauf von Plastikmüll irgendetwas gewonnen? 


Fazit: Jeder muss am Ende selber wissen, ob er vegan leben will. Ich rede da niemandem rein. Ein bewusster Umgang mit Ressourcen und Leben ist sicher nicht verkehrt. Trotzdem halte ich vegane Ernährung nicht für den Heilsbringer, der einer säkularisierten Welt neuen Sinn stiftet und die diffusen Sehnsüchte des Einzelnen nach Ruhe und Naturverbundenheit befriedigt.
So und jetzt freue ich mich auf mein veganes Kochbuch, welches meine Freundin mir hoffentlich bald zum Geburtstag schenkt.



Dienstag, 29. März 2016

Action gegen die Stille im Kopf


Wenn man unter Depressionen leidet, bildet man sich ein, alle Anderen führten ein erfülltes und glückliches Leben voller Liebe, Leidenschaft und bedeutsamer Erfahrungen und man selbst sei der Einzige, der mit Gefühlen der inneren Leere und Sinnlosigkeit der eigenen Existenz zu kämpfen habe. Man (oder besser gesagt: ich) will das auch, was „die“ haben, will die Fantasie leben, die mir schöne Reisefotos, rotwangig strahlende Mittdreißigerfrauen auf Fixie-Rädern, fesch gekleidete Paare in Altstadt-Bistros und Vice-Artikel über die geilsten Studenten-WG-Parties versprechen. Große Verzweiflung und Selbstvorwürfe, als ich nach zahlreichen kräftezehrenden Anläufen und Therapien begreife, dass ich der ersehnten Eingliederung in das große Kollektiv der „Ich führ' ein geiles Leben“-Menschen kaum näher gekommen bin.

Doch ist das überhaupt ein lohnenswertes Ziel? Mittlerweile hege ich den Verdacht, dass sich viele meiner Mitmenschen einfach bessere Verdrängungsmechanismen angeeignet haben, die sie glauben machen, sie seien nicht von Einsamkeit, Stumpfsinn oder der nicht klärbaren Frage nach dem „Warum?“ betroffen. Denn das sind keineswegs Belange, die ausschließlich Depressionserkrankte betreffen. Warum sollten Alle außer mir eine „magische Formel des Glücks“ kennen, die den gähnenden, tiefschwarzen Schlund der Vergeblichkeit, den ich in jedem menschlichen Wesen vermute, stopft?

In Zeiten der säkularisierten westlichen Gesellschaft, in der Religionen als Bereitsteller von Sinn und Antworten stark an Bedeutung verloren haben, werden persönliche Hobbies und Lifestyles zum sinn- und identitätsstiftenden Element verklärt. Was suchen denn Workaholics, Extremsportler, Fitnessfreaks, Öko-Asketen, Shoppingsüchtige, Feierwütige und politische Extremisten in ihren Obsessionen? So etwas wie einen Daseinszweck, oder zumindest eine Zerstreuung von dem, was sich im Inneren abspielt und unangenehm anfühlt. Aus dem Bedürfnis heraus, sich niemals den eigenen Abgründen stellen zu müssen, entstehen Neurosen, pervertierte Ideologien und emotionale Abhängigkeiten von Profanitäten wie Geld oder den „richtigen“ Lebensmitteln.

'Viele Dinge tun' wird gleichgesetzt mit 'ein erfülltes Leben führen'. Wer sich viel erarbeitet, viel konsumiert, viel reist, viel feiert, viel Sport macht, viele soziale Kontakte knüpft oder viel kreiert, weiß, wohin mit sich und wie er mit dem riesigen Berg Lebenszeit umgehen soll. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich mir im Vergleich zu Anderen so bräsig vorkomme: ich mache viel weniger. Ich habe an den genannten Aktivitäten nur mäßiges Interesse. Ich stecke nicht drin. Schaffe es nicht, in das Glücksprogramm einsteigen. Kann nicht einschätzen, in welchem Umfang diese Tatsache depressionsbedingt oder eher eine generelle Leidenschaftslosigkeit hinsichtlich gesellschaftlicher Beschäftigungsmaßnahmen ist.

Mir fällt leider auch nichts Anderes gegen die Stille im Kopf ein. Kann es also nicht besser machen. Laufe nur immer wieder mit Kawumms in die gleichen Sackgassen und beneide die Leute, die bis zum Ende im Kreisverkehr rennen.



Freitag, 25. März 2016

Gay Pranks - Ist das die heutige Jugendkultur?


Eigentlich habe ich keine Ahnung von diesem ganzen Scheiß. Ich meine, von diesen ganzen Youtube-Stars. Plötzlich waren die da. Irgendwelche Kiddies, die mit der Handykamera in ihren Kinderzimmern angefangen haben die Welt zu terrorisieren und die nun von einer Fanbase aus genauso pickligen Halbwüchsigen bis aufs Blut in Form von völlig unsachlichen Kommentaren verteidigt werden. 
Trotzdem treibe ich mich dann und wann in dieser Szene herum. Es gibt so zwei, drei Mittzwanziger, die ich ganz unterhaltsam finde und deren Ansichten ich halbwegs vertreten kann. Die sind dann auch noch nah genug an der Jugend, so dass ich aus dem Bereich was mitbekomme.
Dabei hat mich ein Youtube-Video besonders schockiert, welches auf diesen Kanälen kritisch kommentiert wurde. Der Gay-Prank vom Youtuber Mert Matan.
Für uns alte Säcke da draußen, die keine Ahnung haben was ein Prank ist – ja, Leude, ich wusste das nicht – ein Prank ist nichts anderes, als ein Streich. Als Kind der Achtziger kannte ich das lediglich als „Versteckte Kamera“ mit Frank Elstner und fand es schon damals voll öde.
Der Mert findet es super lustig seinen Vater zu verarschen, indem er sich vor ihm als schwul outet. Ich habe wirklich versucht mir das anzusehen, um mir selbst ein Bild zu machen. Aber ich glaube, mir wäre mein Frühstück hoch gekommen, wenn ich mir das wirklich bis zum Schluss angetan hätte.
Mir hat es gereicht mit anzusehen, wie sein Vater, der neben ihm auf dem Sofa sitzt, plötzlich aufspringt und anfängt auf ihn einzudreschen. Ich spürte Übelkeit in mir aufsteigen und ich weiß gar nicht, wen ich mehr verabscheue: Den Vater, der sich als intolerantes, rückständiges Arschloch ‚outet‘ – den Wortwitz bitte an dieser Stelle beachten – oder sein Sohn, der zusammengerollt auf dem Sofa liegt, um sich vor den Schlägen zu schützen und dabei lacht. 
Das Video hat 1 Million Klicks. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 1 Million. Ein Video in Form eines bagatellisierenden Pranks, das in Wahrheit Intoleranz und Hass verbreitet, erntet so viel Aufmerksamkeit, wie es möglicherweise nur noch Katzenvideos schaffen. Wer ist dieser Typ überhaupt? 
Die Intelligenz des Erschaffers dieser menschenverachtenden ‚Unterhaltung‘, wird nur noch von der geistigen Minderbemittlung  seiner Zuschauer getoppt. Allen Ernstes verweisen nicht wenige Leser in den Kommentaren auf die Meinungsfreiheit des Einzelnen, die ihrer beschränkten Logik nach auch das Recht einräumen würde, Schwule als ekelhaft und unwürdig zu bezeichnen.
Aber rechtfertigt diese sogenannte Meinungsfreiheit auch Gewalt? Intertoleranz hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun, so sehr man sich und anderen das auch einreden möchte.


Im Grunde macht es nicht einmal besonders viel Mühe dies zu erkennen. Sicher kann ich niemandem verbieten zu denken, was er möchte. Ich bin auch gar nicht daran interessiert, jemanden in seiner Gedankenwelt zu beschränken. Sich ein Verbot im Denken aufzuerlegen, verhindert eine echte Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Und an dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn ist nicht derjenige in seinem Denken beschränkt, der die Möglichkeit anderer Lebensweisen nicht akzeptieren und für sich zulassen kann? Wer die Tatsache homosexueller Liebe mit wütender Abscheu und aggressivem Gehabe von sich weist, hat sich doch keine wirkliche Meinung dazu gebildet. Eigentlich zeigt er lediglich, wie sehr ihn seine Angst betäubt. Harte, heterosexuelle Machos zeigen sich wie völlig überforderte Kinder, die geistig etwas nicht einordnen können und deshalb Rotz und Wasser heulen. Tut mir leid, aber das toleriere ich nicht.

by preussischer Widerstand