Dienstag, 29. September 2015

Zeitschriften-Watch: GRAZIA


 GRAZIA, Nr. 40, September 2015



Kunstwerk (S. 13): eine 08/15-Jeans im Used-Look für 260 € wird als "Kunstwerk" bezeichnet. Wusste ich gar nicht, dass überteuerte Konsumartikel, die sich dem Mainstream-Geschmack anbiedern, jetzt als Kunst gelten.

Magersucht (S. 16f, S. 60ff): in Zuge eines investigativen Reports wird Victoria Beckham scharf dafür verurteilt, dass sie bei ihren Fashionshows nur ultradünne Mädchen laufen lässt, die sie angeblich dadurch in die Magersucht treibt. Dass nicht VB persönlich, sondern die komplette Modeszene und die Gesellschaft im Allgemeinen das dünne Schönheitsideal abfeiern und Frauen massiv unter Druck setzen, wird komplett ignoriert. Janusköpfig, wie jede andere Frauenzeitschrift auch, untergräbt GRAZIA ein paar Seiten weiter ihre heuchlerische Moralpredigt über Verantwortungsbewusstsein mit einer Modestrecke, die von einem Skelettmodel präsentiert wird.

Nazi (S. 20): Angelina Jolie's Messersammlung für Sexspiele ist ok, sagt die Redaktion. Aber dass Brad Pitt sich jetzt ein antiquiertes Motorrad aus dem Zweiten Weltkrieg gekauft hat, ist voll uncool. (Implizit: wen Artefakte des Zweiten Weltkriegs faszinieren, kann ja nur den Nationalsozialismus gut finden.)

Ryan Gosling (S. 22f): es wird gemutmaßt, dass Ryan sich von seiner Ehefrau Eva Mendes getrennt hat. Diese Vermutung basiert auf dem äußerst aussagekräftigen Indiz, dass Mendes letztens ein Interview gab, in dem sie -ach du Schreck!- kein einziges Wort über ihren Mann verlor. Die Schrapnells von GRAZIA können sich anscheinend gar nicht vorstellen, dass man auch als liierte Frau ein eigenständiges Leben führen kann. 

Band-T-Shirts (S. 24): die Leserinnen sollen sich flott ein paar "authentische" Band-T-Shirts von Slipknot, Van Halen und Konsorten bei H&M holen. Man muss schließlich den richtigen Look geshoppt haben, wenn man headbangen geht. Als Starbucks-verehrende GRAZIA-Leserin.

Transgender (S. 32): Shiloh, die Tochter von Brad und Angelina, ist vermutlich ein Mensch mit Transgender, weil sie gern kurze Haare trägt, mit Jungs spielt und den Namen "John" spitze findet. Okeydokey.

Dislike-Button (S. 36): GRAZIA fände einen Dislike-Button bei Facebook totaaal doof. Es gibt doch schon viel zu viel Hass im Internet. Lieber Peace, Love und Harmony! Kollektives Kuscheln statt Kritisieren erwünscht. 

Cara Delevigne (S. 38 f): das britische Model steht angeblich kurz vor dem Karriere-Aus, weil sie es gewagt hat, ihren Arbeitgeber Modeindustrie zu kritisieren: Modeln sei hohl und hätte ihre Seele aufgefressen. Die Zeitschrift findet, dass sie natürlich selbst Schuld ist, wenn sie nun nicht mehr gebucht wird. Hätte sie mal lieber ihre große, freche Klappe gehalten und brav und ergeben mitgemacht. 

Health Food (S. 54 f): eine superbusy Karrierefrau ist körperlich abgeschlagen und erschöpft. Ihre Lösung ist eine "gesündere" Art der Ernährung, welche so einseitig ist, dass sie ins Krankenhaus muss. Natürlich wird in dem Artikel an keiner Stelle das zugrundeliegende Problem benannt: die Frau lässt sich von der ewigen Tretmühle namens Karriere kaputt machen und doktert durch Veränderung der Ess- und Schlafgewohnheiten an den Erschöpfungssymptomen herum, anstatt an der Quelle des Leids zu arbeiten. 

Beziehung (S. 58 f): die Story einer im Kern unselbstständigen und hilflosen Endzwanzigerin, die ihren noch willigen Ex seit Monaten ohne schlechtes Gewissen ausnutzt. Er streicht ihre Wohnung, leiht ihr viel Geld, kutschiert sie umher und stellt dabei seine Bedürfnisse komplett zurück. Zwei beschissene Botschaften werden hier vermittelt: 1. Männer müssen Frauen jeden Wunsch von den Lippen ablesen, damit sie überhaupt den Hauch einer Chance bei ihnen haben. 2. Es ist natürlich und vollkommen ok, als Frau des 21. Jahrhunderts von der Hilfe eines Mannes so abhängig zu sein, dass man ohne ihn den Alltag nicht mehr gebacken bekommt.

Donnerstag, 24. September 2015

Eine Frau und ihr Fahrrad - Eine Bitte

by preussischer Widerstand


„Komm, gib mal her.“ Ein älterer Typ mit leicht osteuropäischem Akzent, der aussieht wie Julian Assange und offensichtlich in der Kindertagesklinik gegenüber meiner Wohnung arbeitet, nimmt mir den Fahrradreifen aus der Hand. Seit zehn Minuten hatte ich versucht einen neuen Fahrradschlauch unter den Mantel zu frimmeln. Nicht, dass dieser Mann das mitbekommen hätte. Er hat lediglich gesehen, dass ich versuche mein Fahrrad selbstständig zu reparieren. Nachdem ich ihm wortlos den Reifen überlasse, stopft er energisch den Schlauch in den Mantel und gibt ihn mir mit den süffisanten Worten zurück: „Aber aufpumpen kannst du ihn jetzt selber, oder?“

Also, fürs Protokoll: Ich habe nicht um Hilfe gebeten. Im Gegenteil. Als ich beschloss den Platten am Vorderrad meines Fahrrades zu reparieren, habe ich sogar überlegt, ob ich es nicht lieber im Keller unseres Hauses machen soll, anstatt im Hof, um genau solch eine Situation zu vermeiden.

Was ich für eine Situation meine?! Männer, die kommen und glauben, mir helfen zu müssen. Die glauben, sie würden mir einen Dienst erweisen, weil ich als Frau ja grundsätzlich nicht in der Lage bin, technische oder handwerkliche Vorgänge zu verstehen. Oh, da ist eine Schraube dran. Nee, da bin ich raus.
     
Ja, ich habe noch nicht oft einen Reifen geflickt oder gewechselt. Warum nicht? Weil kein Mann die Geduld hatte, es mir vernünftig beizubringen. Um dieser Hilflosigkeit zu entkommen, habe ich es mir mit Youtube-Videos selbst beigebracht. Gott sei Dank kann man ja heutzutage alles googlen. Ein Fahrradmechaniker hat mir dann alles in seinem Video ruhig erklärt und mir nichts aus der Hand gerissen, weil ich es nach fünf Minuten immer noch nicht hinbekommen habe. Verdammt noch mal, ich will die Zeit dafür haben, die ich eben dafür brauche. Wie soll ich es denn sonst lernen? Dann mühe ich mich eben 2 Stunden im Hof ab und bitte dann um Hilfe, wenn es gar nicht anders geht.
Stattdessen ärgere ich mich über mich selbst, dass ich mir wie ein kleines Mädchen den Reifen habe abnehmen lassen. Warum habe ich nicht gesagt, dass ich erstens nicht geduzt werden und zweitens nicht ungefragt Hilfe aufgedrängt bekommen möchte? Ach ja, weil ich keine undankbare Zicke sein wollte. Sagen wir doch, wie es ist. Hätte ich es abgelehnt, hätte ich dieses abschätzige Lächeln geerntet, a la: Ach, wie süß. Die will das allein machen. Mal sehen wie weit sie kommt.

Da hier in der Regel eher Männer kommentieren: Ihr müsst euch nicht angesprochen fühlen, da mir schon bewusst ist, dass nicht jeder Mann so ist und ebenso wenig möchte ich hören, dass es ja genug Frauen gibt, die sich extra hilflos stellen, damit sie nichts selbst machen müssen. Das hier ist kein Text, bei dem ich mich für irgendein Geschlecht ausspreche. Was mich nervt sind die Menschen, die in Rollenklischees denken. Solche Menschen, die sich überhaupt keine Gedanken darüber machen, was ihr Verhalten in anderen auslöst. Sobald mir ein Mensch, warum auch immer, dass Gefühl vermittelt, dass ich aufgrund meines Geschlechtes irgendwie weniger fähig oder für irgendetwas eher geeignet bin, kotzt mich das an. Selbst wenn es nett gemeint ist.


Sonntag, 20. September 2015

#KunstundKonfetti: ein Abend mit MC Fitti


Du siehst mich auf jeder Vernissage- Du auf'm Fixie, ich auf'm Dixi- Alles scheiße, Kunst ist für'n Arsch. 

MC Fitti, "Fitti mit'm Bart"


Als hochintellektuelle und kulturell interessierte Artverwandte des Bildungsbürgertums konnten Preussischer Widerstand (PW) und ich (Pasota) uns nicht der gestrigen Eröffnung der Ausstellung "EGO UPDATE- Die Zukunft der digitalen Identität" im Düsseldorfer NRW-Forum entziehen. Ich-Bezogenheit, Narzissmus, Selbstdarstellung und Online-Persönlichkeit sind die Schlagwörter, auf die sich die Ausstellungsstücke beziehen. Passenderweise hatte man den hippen Gute-Laune-Rapper und selbsternannten "Selfie-Gott" MC Fitti geladen, der eine Bronzebüste seines Konterfeis mit einer Performance einweihte.

Wie ich den Auftritt fand und was PW in der Ausstellung und im Museumsshop gesehen hat, berichten wir euch folgend im Detail.


Der Auftritt


Die MC Fitti-Performance ist sehr exklusiv. Nur 70 Leute werden gegen Aufgeld zur Blackbox aka der Bühne im abgesperrten Ausstellungsraum zugelassen. Der Rest, zu dem PW, ich und unsere liebe Freundin gehören, drückt sich als Zaungäste im Foyer und Café herum, wo eine mittelgroße Leinwand die Geschehnisse im Inneren überträgt. Nach einer Verspätung von 15 Minuten, in denen die Zuschauerschaft hypnotisiert auf einen Bildschirmschoner in ironischer Windows 95-Vaporwave-Optik stiert, geht es los. Der 'Selfie-Gott' stürmt in seinem typischen signaturelook (Cap + Sonnenbrille + Bart + Grinsefresse) in den knallbunten Holzverschlag und startet mit seiner Hipsterhymne „Yolo“. Der Sound ist miserabel, das Mikro zu leise, der Bass zu laut, die Akustik der Backsteinvorhalle verzerrt alles zu einem undefinierbaren Discogelärme. Der Rapper legt jedoch, begleitet von einer tanzenden Plüschmaus, eine energetische Performance hin und schafft es, das mitunter steife und vergeistigte Kunstpublikum zum wippen und lächeln hinzureißen. Direkt vor PW's und meinen Augen tut sich ein absurdes Bild auf: ein asiatischer Kunstsammlertyp älteren Semesters, ganz in schwarz gekleidet, mit Hut, runder Sonnenbrille und Lederstiefelletten, genießt zu seinem teuren Abendessen mit Weißwein die trashige Darbietung und lässt es sich nicht nehmen, verzückt ein paar Filmaufnahmen mit seinem Smartphone zu machen. Ich denke darüber nach, wie schwer es mir fällt, MC Fittis Zielgruppe einzugrenzen. PW hingegen träumt von dem Bratwürstchen, das der Asiate auf seinem Teller hat. Plötzlich knallt ein Konfettiregen als Höhepunkt und Finale auf uns herab. Nach nur 5 Songs, darunter sein bekanntester Hit „Whatsapper“, „Fitti mit'm Bart“, „Geilon“ und „30 Grad“, endet die Show und Fitti kann seiner Lieblingsaufgabe nachgehen: Selfies mit seinen zahlreichen großen und kleinen Fans machen und eine nice Stimmung verbreiten.


Hurra! Konfetti!



Die Gadgets - Museumsshop


Nachdem im Foyer etwas Ruhe eingekehrt ist, drücken wir uns für eine Weile im Museumsshop herum. Wir wollen schließlich sehen, mit welchen Gadgets wir unser eigenes perfektes Selfie kreieren können. Neben ‚Do-it-Yourselfie-Guides‘, wo für den geneigten Egomanen in zahlreichen Bildern beschrieben wird, wie er sich drehen und verbiegen muss, um das Beste aus seinem Ich herauszuholen, finden sich auch lustige Verkleidungen für Babys (man kann ja mit der Selbstinszenierung schließlich nie früh genug anfangen) und Selfie-Sticks von geschätzten 8 Metern Länge. Anschließend gibt jeder sein Best-of  an Geschichten von Selfieunfällen, die jeder für sich den Darwin-Preis verdient hätten. Ich sag nur Selfie in der Achterbahn.


Big Dislike übrigens für diese Stempel. Obwohl vielleicht sollte man die auf der Behörde einführen. Ich habe da so Ideen fürs Jobcenter oder das Bundesamt für Flüchtlinge. Ironie off.


Die Ausstellung


Gleich im ersten Ausstellungsraum werden wir mit Selfies konfrontiert, die in ihrer Darstellung so banal und doch in ihrer Anordnung auch irgendwie faszinierend auf mich wirken. Gähnende Menschen. Plötzlich beginne ich zu erahnen, wie viel Milliarden an Fotomaterial sich im World-Wide-Web befinden muss. Diese Sehnsucht der Menschen jeden Moment unsterblich zu machen, sich als etwas besonders zu fühlen, sich wie auch immer auszudrücken, erschlägt mich fast ein bisschen. 

Mein preussisches Gehirn beginnt wieder herum zu philosophieren: Ist das die Angst vor dem Verfall und dem Tod, die uns ständig antreibt, uns so auf diese Weise zu produzieren? Schließlich gab es zu jeder Zeit und in jeder Epoche Selbstportraits. Nur, dass im Mittelalter natürlich nicht jeder dazu fähig war, sich selbst zu zeichnen. Daher haben wir auch nur die großen Meister wie Dürer, Van Gogh oder Rembrandt auf die Leinwand gebannt. Würden sie, wenn sie heute lebten, auch lieber „künstlerische“ Selfies von sich machen? Schließlich ist das so viel einfacher. 



Heaven is a halfpipe. So zeigt sich das nächste Kunstobjekt von Erik Kessels mit dem Titel „My Feet“. Mein Dangermouse-Herz schlägt höher als ich feststelle, dass es sich hier um Erlebniskunst handelt. Ich bin kein Freund davon, mir Kunst nur pseudointellektuell aus der Distanz anzugucken. Die Halfpipe kann über eine Treppe bestiegen werden. Während Pasota noch ein wenig mit ihrer Höhenangst hadert, die sie dann aber tapfer besiegt, schaue ich mir schon mal genauer an, was hier in unzähligen Bildchen abgebildet ist. Füße. Füße in Schuhen, Socken, Zehen im Sand und auch einige Füße, bei deren Betrachtung wir uns einig sind, dass derjenige damit dringend zum Arzt sollte. Warum fotografieren wir uns Stinkemauken? Ich gebe ehrlich zu, dass ich es selbst auch schon einige Male getan habe, was unter anderem die Fotos oben beweisen.


Besonders beeindruckend finden wir unter anderem eine Bilderserie von dem britischen Fotograf und Videokünstler Robbie Cooper. Er thematisiert das ‚Alter Ego‘. Dabei hat er Gamer neben ihren Avataren abgebildet. Man könnte ja meinen, dass die Avatare und ihr Erschaffer, wie bei unserem milchgesichtigen Jungen hier, sich völlig unähnlich sind, doch ich war erstaunt, wie ähnlich manche Onlinespieler ihren Figuren im Netz sahen. Nicht alle nutzen ihre Phantasie, um in eine wirklich ganz neue Rolle zu schlüpfen. Ich denke, dieses Thema hätte sogar eine eigene Ausstellung verdient.



Das Beste habe ich mir natürlich bis zum Schluss aufgehoben. Die Ausstellung hört nämlich nicht in den Toilettenräumen auf. Wie auf der Kirmes, wo man seinen Kopf durch eine mit einer fetten, bärtigen Frau bemalten Bretterwand stecken kann, waren hier die Spiegel mit sogenannten Selfie Templates abgeklebt. Sich beim Händewaschen lesbischen Fantasien hinzugeben ist schon interessant. Leider war unsere liebe Freundin etwas zu klein, um ihr Gesicht in der Spiegelfläche ansehen zu können. Aber was wäre das Selfie, ohne die ganzen Legionen der Instagram-Babes, die rund um die Uhr für Männerfantasien verfügbar sind? Wie es wohl auf der Herrentoilette aussieht?!

Für alle Interessierten: Die Ausstellung geht noch bis zum 17.01.2016

alle Fotos by preussischer Widerstand