Serdar Somuncus erste Handlung nach
Abklingen des frenetischen Begrüßungsapplauses ist, uns 1600
Kackwurstschnüfflern (wie er seine Anhänger liebevoll nennt) zu
verbieten, zu fotografieren oder zu filmen. Er wolle nicht, dass auf
Youtube aus dem Zusammenhang gerissene Statements, wie zum Beispiel
„dass er gern auf Juden abjizzt“ hochgeladen werden und er sich
dann mit lästigen Briefen von Juden herumschlagen müsse. Wegen
solcher Sprüche sind wir alle gekommen, die Halle ist jetzt schon
begeistert.
In den folgenden zwei Stunden feiern
wir eine Hassiasmesse (offiziell „H2 Universe“), die sich
gewaschen hat. Serdar, der selbst ernannte Führer und Gott seiner
Hassistensekte, predigt: jede Minderheit hat das Recht auf
Diskriminierung. Wer ihn kennt, weiß von den flächendeckenden und
bis ans Limit getriebenen Beleidigungen und Verhöhnungen, die er
Schwulen, Juden, Schwarzen, Behinderten, Dicken, Ausländern etc.
etc. zukommen lässt. Er dreht auf, regt sich dermaßen übertrieben
über Muslime, RTL-Redakteure, Öko-Hipster-Nazis, Kölner,
Kosovo-Albaner, Bettler und „Whooo“-Schreier aus dem Publikum
auf, dass auch der Letzte erkennen muss, dass Serdar hier eine
Karikatur, eine bis zur Übelkeit überzeichneten Parodie eines
rassistischen und menschenverachtenden Arschloches inszeniert. Doch
hätte Serdar nichts anderes drauf als ordinäre Provokationen, würde
er wohl nicht seit 30 Jahren erfolgreich auf der Bühne stehen.
Serdar ist einer der reflektiertesten,
skeptischsten, unabhängigsten und mutigsten Künstler, die ich
kenne. Er stellt sich unbequeme Fragen, beispielsweise, ob wir nicht
doch in tausend Kleinstdiktaturen leben, an denen wir teilhaben, ohne
es zu wissen. Ob es okay ist, sich als fettbäuchiger und verwöhnter
West-Europäer anzumaßen, über Wohl und Wehe hunderttausender
Menschen in Not zu entscheiden. Ob wir nicht doch alle lenkbares
Menschenmaterial sind, das sich von multimedialer Dauerberieselung
verblenden lässt. Wie es sein kann, dass es im Jahre 2015 immer noch
deutschen Rechtsradikalismus gibt. Was wir dafür können, dass
Integration scheitert.
Diese Fragen stellt er auch uns, dem
Publikum, welches an diesem Abend immer wieder zwischen derbem
„Harrharr“-Lachen, nachdenklicher Ernsthaftigkeit und Melancholie
schwankt. Serdar bietet eine unvergleichliche Mischung aus
Vulgarität, Intellektualität und Tiefe, die er am Schluss mit einem
zu Tränen rührenden, selbst geklimperten und gesungenen Gospelsong
krönt. Er hat übrigens eine grandiose Soulstimme. Wie passend.
Eine Kostprobe Serdars Redekünste:
Heeyy! Nice! Wir gehen am Samstag, den 21. November in Berlin im Tempodrom hin. Freu mich schon! Eigentlich hätte ich Deinen Artikel nicht durchlesen dürfen...narf. Verrät mir zuviel ;-) Egal. Wird trotzdem cool.
AntwortenLöschenViel Spaß euch! :) Keine Sorge, da wird aber noch einiges passieren, was ich nicht erwähnt habe.
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